Schreibtischtäter

Braune Relikte 23: Schreibmaschine und Einweisungsschreiben.

Zur Realisierung seiner ideologischen Ziele bedurfte das NS-System einer funktionierenden Bürokratie. „Manager des Todes“ wie Adolf Eichmann saßen hinter Schreibmaschinen, tippten Befehle und bestätigten ihre ordnungsgemäße Durchführung. Nach Erledigung wurden die Vorgänge – Haft, Deportation, Mord, Vergasung – „zu den Akten“ gelegt, als wären es Bestellungen von Bleistiften oder 1.000 Rollen Toilettenpapier.

Eine wichtige Grundlage für den ideologisch geführten Zweiten Weltkrieg mit der gezielt geplanten Vernichtung von als „Untermenschen“ klassifizierten Menschen war eine funktionierende deutsche Bürokratie. Die massenhafte Deportation, Ermordung und anschließende Ausbeutung musste organisiert und verwaltet werden. Die Verwaltung des Grauens geschah durch viele Hände und Köpfe, die die industrialisierte ‚Maschinerie des Todes‘ durch ihr Handeln am Laufen hielten. Adolf Eichmann als Organisator des Holocaust ist nur das prägnanteste Beispiel. Als Mittäterinnen und Mittäter setzten sie das ins Werk, was die Hauptakteure des nationalsozialistischen Vernichtungswillens um Hitler ideologisch vorbereitet hatten.

In dieser Weise bestätigte beispielsweise SS-Sturmbannführer und Regierungs- und Kriminalrat Dräger von der Staatlichen Kriminalpolizeistelle Hannover dem Osnabrücker Regierungspräsidenten in seinem Schreiben vom 10. April 1943 unter dem Betreff „Einweisung von zigeunerischen Personen in das KL.-Auschwitz“ in nüchterner Verwaltungssprache: „Die im Zuge des Erlasses des RSHA. vom 29. 1. 43 angeordnete Aktion gegen zigeunerische Personen ist abgeschlossen. Aus dem dortigen Bezirk wurden 54 Personen, und zwar aus Osnabrück (Stadt), in das KL.-Auschwitz eingewiesen. Schwierigkeiten bei der Durchführung haben sich nicht ergeben. Im Auftrage: Dräger SS-Sturmbannführer und Regierungs- und Kriminalrat.“

Jahrzehntelang wurden Täter nicht angeklagt bzw. freigesprochen, weil ihnen nach der damaligen Auslegung der Gesetze keine unmittelbare Täterschaft nachgewiesen werden konnte. Mittlerweile hat sich die juristische Sichtweise dahingehend geändert, dass heute auch die Beihilfe zu einem Mord als Tat gewertet wird, die darüber hinaus nicht verjährt. Die geänderte Rechtsauffassung beeinflusste die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen nachhaltig. So lohnte sich die Arbeit der „Zentralen Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechern“ in Ludwigsburg, die ihre Recherchen fortsetzte. Sie ermittelte mehrere SS-Männer, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern Dienst getan hatten.

Als über Neunzigjährige wurden angeklagt und verurteilt: John Demjanjuk (1920–2012; er arbeitete als Hilfswilliger der SS in Sobibor und wurde 2011 vom Münchner Landgericht II wegen Beihilfe zum Mord in 28.060 Fällen zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, starb aber vor Abschluss der Revision), Oskar Gröning (1921–2018; 2015 verurteilte das Landgericht Lüneburg den SS-Freiwilligen wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Er verwaltete die „Häftlingsgeldverwaltung“ in Auschwitz) und Bruno D. (* 1927; 2020 verhängte das Landgericht Hamburg für den ehem. SS-Wachmann im KZ Stutthoff eine zweijährige Bewährungsstrafe nach Jugendstrafrecht).

Jede/r konnte potenziell zu einem kleinen ‚Rädchen‘ des größeren Apparates werden. Im Nachhinein oft gehörte Argumente, man hätte auf Befehl gehandelt und keine andere Wahl gehabt, sind vielfach widerlegt worden. Es gab Handlungsoptionen – in die eine wie in die andere Richtung, für die man sich entscheiden musste.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.