Mit ihren Bundespräsidenten hätten sie Glück gehabt, meinten die Deutschen – zumindest bis zum Rücktritt Horst Köhlers oder dem kuriosen Fall des Christian Wulff. Dabei sorgte schon einer ihrer Vorgänger für viel Aufregung und kontroverse Diskussionen. Im August 1962 reiste Heinrich Lübke nach Osnabrück, um am Deutschen Wandertag teilzunehmen. Das Staatsoberhaupt wurde mit Blumen und Volksliedern begrüßt, doch im Verlauf des Besuchs kam es zu einigen Missstimmungen.
Der 1894 im sauerländischen Enkhausen geborene Vermessungsingenieur kam 1932 als Mitglied der Zentrumspartei in den Preußischen Landtag. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er festgenommen, saß 20 Monate in Untersuchungshaft und hielt sich anschließend mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.
Doch 1939 wendete sich das Blatt. Lübke wurde Bauleiter beim Architektur- und Ingenieurbüro Walter Schlempp, das u.a. die Herstellung von Baracken für Konzentrationslager verantwortete. Später wurde er Mitglied im sogenannten „Jägerstab“, der die Flugzeugproduktion in unterirdische Fabriken verlagern sollte und dabei auch KZ-Häftlinge einsetzte.
Nach Kriegsende trat Lübke in die CDU ein, wurde Landwirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, dann Bundestagsabgeordneter und Bundesminister und 1959 schließlich der zweite Präsident der noch jungen Republik.
Mitte der 60er Jahre holte ihn die Vergangenheit ein. Albert Norden, Mitglied im Nationalen Verteidigungsrat der DDR, präsentierte in Ost-Berlin Dokumente, die Lübke als „KZ-Baumeister“ bloßstellen sollten. Während diese Vorwürfe zum Teil auf historischen Fakten beruhten, waren andere, die gegen Lübke geltend gemacht wurden, aus der Luft gegriffen. Dass er die englische Königin mit dem Hinweis „equal goes it loose“ (für „Gleich geht es los!“) irritiert haben soll, erfand ein Redakteur des „Spiegel“ – und auch der vermeintliche Begrüßungssatz beim Staatsbesuch in Liberia („Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“) ist nicht belegt.
1969 beendete Heinrich Lübke seine zweite Amtszeit zehn Wochen vor dem regulären Termin. Sein Nachfolger wurde Gustav Heinemann (SPD). Lübke starb am 6. April 1972 in Bonn.
Besuch mit Ärgernissen
Vom 2. bis 6. August 1962 fand in Osnabrück der 63. Deutsche Wandertag statt. Als Bundespräsident Heinrich Lübke und seine Frau Wilhelmine am Vormittag des 5. in den Osnabrücker Hauptbahnhof einfuhren, hatten sich zahlreiche Menschen versammelt, um das Staatsoberhaupt zu begrüßen. Die Stimmung war offenbar gut, wusste die örtliche Tageszeitung doch von rauschendem Beifall und begeisterten Vätern zu berichten, die „Dr. Lübke“ ihre Kinder über die Absperrung entgegenstreckten.
Nach einem Aufenthalt im Hotel Hohenzollern nahm der Bundespräsident an der Hauptkundgebung des Verbandes deutscher Gebirgs- und Wandervereine teil. Auf der Illoshöhe plädierte er (rund zwei Jahrzehnte vor der Gründung der Grünen) für die Wiederentdeckung der Natur in einer technisierten Welt: „Wir wollen, dass der Mensch wieder natürlicher denkt, natürlicher handelt und damit auch natürlich lebt!“. Die Wanderer sollten aber auch einen politischen Auftrag erfüllen und zur Stärkung eines lebendigen Heimatgefühls beitragen.
Gerade die Osnabrücker hatten nach Einschätzung des Bundespräsidenten erheblichen Nachholbedarf in Sachen patriotischer Gesinnung. Lübke vermisste in der Stadt Flaggen und Deutschlandfahnen und ärgerte sich über die vielen leeren Plätze auf der Illoshöhe. Dabei war das Interesse seiner Gastgeber noch viel geringer als es den Anschein hatte, denn von den 10.000 Zuhörern gehörten rund 5.000 zu den nach Osnabrück gereisten Wanderfreunden.
Der Kommentator des „Tageblatts“ war offenbar dergleichen Ansicht. Die Schmückung der Martinistraße, auf der nur alle hundert Meter ein einsames Fähnchen gebaumelt habe, sei „nahezu beschämend“ gewesen. „Fast noch beschämender aber empfanden wir, dass eine große Zahl von Osnabrückern die Iloshöhe verließ, bevor das Deutschlandlied erklungen war.“
Auch beim Empfang im Friedenssaal des Rathauses war die mangelnde Anteilnahme noch einmal Thema. Heinrich Lübke trug sich mit seiner Gattin Wilhelmine trotzdem in das Goldene Buch ein. Anschließend wurde die Schatzkammer besichtigt. Um 19.00 Uhr verließ ein Zug den Hauptbahnhof Richtung Hamm – der nicht ganz störungsfreie Besuch des Bundespräsidenten war beendet.