Braune Relikte (42): Pakete mit Tabakblättern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel der Wert der Reichsmark rasant. Stattdessen blühte der Schwarzmarkt mit seinen Ersatzwährungen – Zigaretten, Alkohol, Sachwaren. Dieser endete erst mit der „Währung“, der Einführung der D-Mark.
Angesichts des Mangels und der Schwerfälligkeit des bürokratischen Verfahrens der Zwangsbewirtschaftung war die Grundversorgung der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg kaum zu gewährleisten. Der aufblühende Schwarzmarkt gehörte bald zum Alltag. Man traf sich an verschiedenen Plätzen, im niedersächsischen Osnabrück bevorzugt auf dem Augustenburger Platz oder vor dem Heger Tor. Dort war der Fluchtweg frei, wenn britische oder deutsche Polizeibeamte anrückten, um für Ordnung zu sorgen. Rauchwaren, insbesondere amerikanische Zigaretten, Tabakblätter, selbst gebrannter Schnaps und andere begehrte Tauschgüter mutierten zu heimlichen Ersatzwährungen. Weitere Tauschobjekte waren neben Seife, Schnürsenkeln oder Schreibzeug landwirtschaftliche Bedarfsartikel wie Sensenstrick und Sensenschlüssel oder selbst geflochtene Kartoffelkörbe. Es kamen aber auch Wertgegenstände auf den Markt, etwa Schmuck, Uhren, Besteck, Geschirr, Kleidungsstücke, Kleinmöbel, Teppiche und die dazugehörigen Staubsauger.
Das „Organisieren“ des Notwendigsten gehörte zur Überlebensstrategie. Wer kein Fahrrad hatte, musste zu Fuß „hamstern“ gehen. Seit Mitte 1946 wurden die Hamsterfahrten auf das Land auch wieder per Bahn möglich. Die Züge waren innen wie außen überfüllt. Im Winter 1946/47 verschärfte eine ungewöhnlich lange Frostperiode die Situation. Angesichts der Not autorisierte der Kölner Kardinal Frings in seiner Silvesteransprache kleinere „Ungenauigkeiten“ in Eigentumsfragen, d.h. er legitimierte Diebstähle um des Überlebens willen. Im Volksmund wurde es deshalb als „fringsen“ bezeichnet, wenn sich frierende Menschen von vorbeifahrenden Zügen einige Kohlen stahlen.
Berichte von Augenzeuginnen und Augenzeugen belegen, dass die Polizei, die die Transporte bewachte, in solchen Fällen häufig wegsah. Beeren, Kräuter, Kleinholz u.a. zu sammeln, Nutzgärten auf jeder nur denkbaren Fläche anzulegen und Kleintiere zu halten, waren zudem weitere wichtige Strategien, um das Überleben zu sichern.
Anfang 1945 war Familie Fischer von Pommern in ein Dorf im Kreis Salzwedel geflüchtet. Der spätere Schwiegervater von Magdalena Fischer baute dort illegal Tabak an. Nach dem Trocknen wurde dieser von Verwandten in Berlin und Hamburg in Portionen zu 20 und 25 g in selbst gedrehten Zeitungspapiertütchen unter der Hand an Bekannte und Arbeitskollegen verkauft. Als 1948 mit der Währungsreform das Ende der Ersatzwährungen kam und der Tauschhandel in den westlichen Zonen zusammenbrach, gelangte der Rest der ‚schwarzen Währung‘ nach Osnabrück. Die letzten Anfang 1949 aus Berlin-Weißensee abgesandten Tabakpäckchen überdauerten die Jahrzehnte auf dem Dachboden.
Der ‚Nachholbedarf‘ der Bevölkerung sorgte, zumal die Rationierung von Lebensmitteln erst am 1. Mai 1950 aufgehoben wurde, für eine massive Nachfrage nach Wohnraum, Konsum- und Investitionsgütern. Sie wurde bekannt unter den Schlagworten der aufeinander folgenden Fress-, der Kauf-, der Reise- und der Motorisierungswelle.
Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.


