Fernsehunterhaltung aus einem anderen Jahrhundert: „Spiel ohne Grenzen“ faszinierte Millionen an den Bildschirmen und wer gegen einheimische Konkurrenten die Nase vorn hatte, konnte sich sogar auf europäischer Ebene präsentieren. 1971 machte die legendäre Show im emsländischen Lingen Station.
„Spiel ohne Grenzen“ war in den 1960er und 1970er Jahren eine der erfolgreichsten Unterhaltungssendungen im westdeutschen Fernsehen. Unter der Moderation von Camillo Felgen traten zwei Städte in verschiedenen Geschicklichkeitsspielen gegeneinander an. Der Sieger hatte sich auf internationaler Ebene zu bewähren. Neben der Bundesrepublik nahmen auch Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande und die Schweiz am „Spiel ohne Grenzen“ teil.
Auch Lingen bewarb sich um die Teilnahme und erhielt tatsächlich eine positive Antwort. Der WDR kam in die Stadt, um nach einem geeigneten Austragungsort zu suchen. Man entschied sich für das Emslandstadion, und im Februar 1971 wurde mit der Stadt ein entsprechender Vertrag geschlossen. Derweil wurden die Lingener Sportvereine aufgerufen, mögliche Kandidaten vorzuschlagen, um eine 24-köpfige Lingener Mannschaft zusammenzustellen.
Im Mai 1971 wurde es dann ernst. Schon am Dienstag, den 18. Mai, traf das gegnerische Team aus dem bei Hamm gelegenen Bockum-Hövel in Lingen ein und wurde offiziell auf dem Marktplatz empfangen. Der Spielverlauf war da noch unbekannt, denn keine Mannschaft sollte sich allzu genau auf die Aufgaben vorbereiten können. Erst am Donnerstag wurde das Geheimnis um die insgesamt zehn Spiele gelüftet. Das Thema lautete „Gladiatoren“. Nun blieben den beiden Mannschaften noch zwei Tage, um sich intensiv vorzubereiten. Am Samstag, den 22. Mai 1971, kam der Tag der Entscheidung. Vormittags fand noch einmal eine Generalprobe statt, besucht ausschließlich von Schulkindern, die für eine Mark eine Karte lösen konnten. Alle anderen – immerhin hunderte von Schaulustigen – mussten die Proben durch den Maschendrahtzaun hindurch verfolgen.
Um 13 Uhr dann öffnete sich das Emslandstadion dem herandrängenden Besucherstrom. Rund 6.500 Zuschauer versammelten sich auf der Tribüne, davon allein 1500 aus Bockum-Hövel. Zu Hause verfolgten Millionen Zuschauer die Sendung. Es erklangen Fangesänge: „Be-Ha-Tscha-tscha-tscha“ und „Lin-gen Ems“. Spruchbänder wurden hochgehalten. „Fürchtet Euch nicht – wir sind bei euch!“, hieß eines. Ein anderes spielte auf die Gebietsreform und die gerade aktuellen Streitigkeiten um die Bildung einer unabhängigen Gemeinde nördlich von Lingen an: „Nordgemeinde grüßt Lingen – trotz allem!“ Um 15 Uhr ging es los.
Die Aufgaben
Die erste Aufgabe hieß „Römisches Wagenrennen“. Auf einem von zwei Pferden gezogenen Kampfwagen musste der Wagenlenker versuchen, mit einer Lanze die neben der Strecke befestigten Luftballons zum Platzen zu bringen. Dann ging es ans „Steinwerfen“. Dabei musste ein schwerer Stein soweit wie möglich geworfen werden. Wo er zuerst aufkam, wurde erneut geworfen. Wer nach acht Durchgängen die längste Strecke zurückgelegt hatte, hatte gewonnen. Bei „Die Säulen“ galt es, eine aus zehn Einzelteilen aufeinandergeschichtete Säule über einen Parcours zu tragen. Dabei mussten die Kandidaten unter Säulentore hindurch und über liegende Rohre hinwegbalancieren. Im „Schmierseifenspiel“ drückten je vier Kandidaten einer Mannschaft gegen eine waagerecht aufgebockte Säule, um die andere Mannschaft zurückzudrängen.
Lingen konnte kein einziges dieser Spiele für sich entscheiden, und Bockum-Hövel lag damit acht Punkte in Führung. Deshalb zog die Lingener Mannschaft nun ihren Joker: das nächste Spiel zählte doppelt. Es hieß „Der Löwe“. In einem Löwenkostüm für zwei Personen wurde gegen vier Gladiatoren der Gegenmannschaft angerannt, um sie umzuwerfen. Lingen gewann tatsächlich, und damit stand es 4:8. Nun zog Bockum-Hövel seinen Joker. Beim „Fahnenspiel“ wurde ein Kandidat von zwei Teamkollegen in ein Wasserbassin geworfen, und zwar in so hohem Bogen, dass sich im Flug eine über dem Becken baumelnde Fahne abreißen ließ. Und so baute Bockum-Hövel seinen Vorsprung weiter aus.
„Im Netz“ hieß die nächste Runde. Gemeinsam in einem Netz gefangen mussten sechs Männer einen Hindernisparcours überwinden. Als „Fliegende Gladiatoren“ mussten sich die Kandidaten mit einem Stein zwischen den Füßen eine Seilbahn hinunterschwingen. Im Flug sollten am Boden aufgestellte Löwenbilder mit dem Stein getroffen werden. Bei „Zwei Schilde“ wurden zwei zu einer Rolle verbundene Schilde von zwei Kandidaten gerollt. Ein dritter Kandidat saß obenauf und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Die zehnte und letzte Runde war ein „Zweikampf über dem Wasser“. Mit einer Keule bewaffnet hieß es, den Gegner von einem Baumstamm ins Wasser zu stoßen. Wer fiel, wurde sofort durch einen Kollegen ersetzt. Wer übrigblieb, hatte gewonnen.
Bei einem abschließenden Sonderspiel musste aus einem Schlüsselbund der richtige Schlüssel gefunden werden, um einen Löwenkäfig zu öffnen. Den Rückstand konnte Lingen allerdings nicht mehr aufholen. Es verlor schließlich mit 10:16. Bockum-Hövel hingegen gewann souverän und qualifizierte sich damit für das Spiel gegen eine französische Mannschaft in Vichy.
Schon im Vorfeld hatte Camillo Felgen beide Parteien dazu aufgerufen, nicht zu vergessen, dass alles nur ein Spiel sei. „Ein Wort des Dankes sollte jeder für jeden finden, wenn dieses Spiel zu Ende ist.“ Und er reimte: „Das müsste uns in Lingen doch wirklich auch gelingen! Ich kann’s nicht besser!“ Bei einem abschließenden Empfang im Hotel Nave taten die Bürgermeister beider Städte genau das. Helmut Pytlik lud den Lingener Rat nach Bockum-Hövel ein, und Hans Klukkert versprach, für die Spiele in Vichy die Daumen zu drücken.