Spießrutenlauf

Braune Relikte (5): Eine Fotografie – Die SA verhaftet Josef „Ilex“ Burgdorf.

In totalitären Staaten gehört die Demütigung des politischen Gegners zu den wichtigsten Elementen offener Machtdemonstration. Die Nationalsozialist*innen sicherten ihre Herrschaft durch die sofortige gewaltsame Zerschlagung der politischen Opposition, den Aufbau eines Terrorregimes mit Gestapo und Konzentrationslagern, die Zerschlagung der demokratischen Institutionen und die „Gleichschaltung“ aller Verbände. Letztere schlossen sich mitunter in vorauseilendem Gehorsam den neuen Machthabern freiwillig an.

Die mehrheitlich aus ehemaligen Soldaten bestehenden paramilitärischen Sturmabteilungen (SA) hatten seit 1920 als parteieigener Ordnerdienst den politischen Kampf der NSDAP durch die „Eroberung der Straße“ ergänzt. Zu ihren Terrorakten gehörten die Übergriffe während des reichsweiten Boykotts jüdischer Geschäfte und Unternehmen am 1. April 1933. Der Boykottaufruf wurde auch dazu genutzt, andere den neuen Machthabenden unliebsame Personen zu schikanieren.

Dazu gehört Josef Burgdorfs Spießrutenlauf in Osnabrück, den die Fotografie dokumentiert. Was hier spontan wirkt, war eine sorgfältig geplante Aktion der neuen Machthaber. Der Blick richtet sich zunächst auf den Mann mit dem Schild „Ich bin Ilex“. Bei „Ilex“ handelt es sich um den Journalisten Josef Burgdorf (1895-1964), der seit 1930 als Chefredakteur der sozialdemokratischen „Freien Presse“ arbeitete und unter dem Pseudonym „Ilex“ (Stechpalme) kritisch über die Osnabrücker Nationalsozialist*innen berichtete. Zu seinen schärfsten politischen Gegnern gehörte der Uhrmacher Erwin Kolkmeyer (1899-1961), einer der damals aktivsten Nazis der Stadt.

Kolkmeyer gehörte seit 1929 der NSDAP an, war bis 1931 Mitglied der SA und 1932 auch zeitweise in der SS. 1934–1945 leitete er die Ortsgruppe Osnabrück-Altstadt und war 1937 Mitglied im Rat der Stadt. Kolkmeyer war unter anderem dafür berüchtigt, dass er Osnabrücker*innen fotografieren ließ, die in jüdischen Geschäften einkauften. Die Fotos stellte er am folgenden Tag im Fenster seines Uhrmacherladens in der Georgstraße öffentlich zur Schau. Kolkmeyer war maßgeblich daran beteiligt, als Josef „Ilex“ Burgdorf am 1. April 1933 in seiner Redaktion von der SA verhaftet und, begleitet von Schaulustigen, durch die Innenstadt geführt wurde. Auf dem Foto ist Kolkmeyer zu seiner Linken in der dunklen Uniform zu erkennen. Nach einem Verhör im „Braunen Haus“, bei dem Burgdorf bedroht wurde, kam er ins Polizeigefängnis in die Turnerstraße. Angeblich wurde er bei der Aktion auch an Kragen und Haaren gepackt und über das Pflaster geschleift.

Nach sechs Tagen und erheblichen Misshandlungen wurde Burgdorf ohne Kommentar aus der „Schutzhaft“ entlassen. Damit war sein Martyrium jedoch noch nicht beendet. Weitere Verhaftungen folgten. 1939-1942 war er im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. 1944 wurde er nochmals festgenommen. Burgdorfs Versuch, nach Kriegsende wieder journalistisch tätig zu werden, blieb Episode. Nachdem er zwischen August 1946 und Januar 1947 in Hannover als Chefredakteur die kommunistische Zeitung „Hannoversche Volkstimme“ herausgegeben hatte, kehrte er nach Osnabrück zurück, wo er 1947-1955 als Wirtschafts- und Sozialdirektor bei den Stadtwerken arbeitete. Bereits 1945 hatte ihn die britische Militärregierung im Osnabrücker Arbeitsamt beschäftigt und am 9. Januar 1946 in die erste von ihr eingesetzte Stadtvertretung berufen. Kolkmeyer konnte sich 1945 zunächst absetzen, wurde aber 1947 aufgegriffen und musste sich wegen seiner NS-Aktivitäten vor Gericht mehrfach verantworten.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.