Straessers Richtung

Vergleiche mit großen Meistern haben nicht selten den Nachteil, dass die Gelobten zeitgleich im Schatten des eigentlich Unvergleichlichen abgestellt werden. So geschehen bei Ewald Straesser, dessen Werke zweifellos auch für sich selbst stehen könnten.

Der 1867 in Burscheid geborene Musiker und Hochschullehrer bekam sein Etikett noch zu Lebzeiten. „Charaktervoller Komponist Brahmsscher Richtung“, so beschrieb ihn Riemanns Musiklexikon und gab sich nur ein wenig mehr Mühe als die Erfinder der Kurzform „Bergischer Brahms“.

Dabei hatte Walter Niemann in seiner „Musik der Gegenwart“ schon 1913 einzuwenden versucht, dass der „Brahmsische Geist“ am Niederrhein ein anderer sei als in Berlin oder Norddeutschland. Der Wind wehe hier fortschrittlicher und der melodische Sinn dränge „weit über die Grenzen eines nur akademischen Brahms-Klassizismus hinaus“.

Straessers Violinsonate in D-dur, das kleine Arioso op.13a, die verzweigte Suite für Solovioline in e-moll und die drei hübschen Reigen für Violine und Klavier entstanden zwischen 1904 und 1926 und deuten darauf hin, dass die Wahrheit auch hier irgendwo in der Mitte liegt und der zeitliche Abstand Wahrnehmungen verändern kann.

Die unvorbereitet Hörenden des 21. Jahrhunderts denken vermutlich nicht an Fortschritt und vielleicht nicht einmal an Brahms, staunen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit über großartige Musik, der sie noch nie begegnet sind. Das gelingt umso leichter, als die Geigerin Gudrun Höbold ihrem Vorsatz – „die unglaublich langen Melodiebögen zu verstehen und sinnvoll entstehen zu lassen“ – in nahezu jedem Takt gerecht wird.

In der Suite für Solovioline entsteht so ein spätromantisch grundierter, aber ganz individuell gestalteter Raum, in dem nur die Straesserschen Regeln und die des Interpreten gelten. Beide sind hier unmittelbar aufeinander angewiesen, wie die vier Satzbezeichnungen des Komponisten verdeutlichen:

Präludium („Mäßiges, ziemlich freies Zeitmaß“)
Fuge („Mäßig bewegt“)
„Ziemlich langsam, etwas freies Zeitmaß“
Gigue („Giusto“)

Die Pianistin Eri Uchino ist Höbold in den drei anderen Werken eine verlässliche und anspornende Partnerin.

Ewald Strässer: Sonate für Violine & Klavier op.32, Arioso op. 13a, Suite für Violine allein e-Moll, Drei Reigen für Violine und Klavier op. 25, MDG (Musikproduktion Darbringhaus und Grimm)