Streichquartette als Zeitzeugen

Dass der Mann, der sich einst bemüht hatte, das skizzenhafte Finale von Puccinis „Turandot“ zu vollenden, selbst ein erfolgreicher Opernkomponist war, ist in Italien nie völlig vergessen und andernorts in den letzten Jahren wieder entdeckt worden. Nun könnten auch die Streichquartette von Franco Alfano (1875-1954) vermehrt Beachtung finden. Die drei Werke, die zwischen dem Ausbruch des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden, sind erstmals auf Tonträger erschienen.

Das erste Quartett datiert aus den Jahren 1914 bis 18 und steht unter dem auch für Alfano traumatischen Eindruck des Ersten Weltkriegs. Das aufwühlende, bisweilen wüst dissonante Vivacissimo und der hektische, von abrupten Stimmungswechseln geprägte Schlusssatz spiegeln die Verwerfungen der Zeit, während das „Calmo“ (wie der Cellist und Booklet-Autor Samuel Magill mutmaßt) als Requiem für den während seines Militärdienstes verstorbenen, unehelich geborenen Sohn Herbert – vielleicht auch für andere viel zu jung verstorbene Menschen dieser Jahre – gedeutet werden könnte.

Mal verspielt, mal klassisch-elegant gibt sich dagegen das zweite Quartett, das 1927 in der Residenz Benito Mussolinis uraufgeführt und auch dem „Duce“ gewidmet wurde. Dieser Umstand möge für manche Leser ein Schock sein, meint Magill, und lenkt den Blick im Begleittext der CD deshalb postwendend auf andere komponierende Mussolini-Enthusiasten wie Puccini, Mascagni, Pizetti oder sogar Strawinsky. Eine Ehrenrettung ist hier freilich nicht möglich, denn Alfanos Haltung zum italienischen Faschismus schmälert nicht die musikalischen Qualitäten dieses gediegen inszenierten Kabinettstücks. Der politische Unverstand der genannten Kollegen macht seinen Kniefall vor dem Diktator, der vermutlich Karriererücksichten geschuldet war, allerdings auch nicht besser.

Dem Quartett für den „Duce“ folgte ein letztes, das wiederum von den Folgen eines Weltkrieges und eines schweren persönlichen Verlustes überschattet wurde. Marthe, die Frau des Komponisten, starb 1943 – Alfano schrieb ihr mit dem Eingangssatz, der fast den Umfang der beiden folgenden hat, ein bewegendes Epitaph. Das Werk schließt mit einem eigenwilligen Allegro, das im Marschrhythmus das antike Rom beschwört oder endgültig von Märschen Abschied nehmen will – über diese Alternative darf das Publikum noch eine Zeitlang nachdenken.

So wie Alfano im Opernbereich über den Verismus hinausstrebte, zeugen seine Quartette von der beharrlichen, wenn auch nicht radikalen Suche nach neuen Ausdrucksformen. Elmira Darvarova, Mary Ann Mumm (Violine), Craig Mumm (Viola) und Samuel Magill zeichnen die unvermeidbaren Brüche und Sprünge mit großem Einfühlungsvermögen nach und lassen die Weltersteinspielung dieser Werkgruppe zu einem besonderen Hörerlebnis werden.

Franco Alfano: Streichquartette Nr.1-3, Naxos