Stau am Bau ist kein neues Phänomen, wie der Blick auf Berliner Flughafen, Hamburger Elbphilharmonie oder Stuttgarter Hauptbahnhof vermuten lässt. Bereits in den 1950er und 60er Jahren führte der erbitterte Streit um den Autobahnlückenschluss zwischen Bremen und Osnabrück zu Terminverzögerungen und Kostenexplosionen. Die bundesdeutsche Verkehrsplanung war in der Demokratie angekommen.
Streitobjekt ist ein etwa 110 Kilometer langes Teilstück der insgesamt 732 Kilometer langen Bundesautobahn A1, der Hansalinie. Sie führt von Heiligenhafen an der Ostsee bis nach Saarbrücken und folgt damit über weite Strecken der mittelalterlichen Handelsroute der Hanse von Lübeck nach Köln.
Die Planungen reichten zurück bis in die Weimarer Republik. Die Nationalsozialisten, die sich ja gerne mit dem Mythos erfolgreicher Autobahnbauer schmückten, konnten letztlich nur einen Bruchteil des geplanten Netzes realisieren. Mit ihrem Überfall auf Polen begann der Zweite Weltkrieg, in dessen Verlauf der Autobahnbau zum Erliegen kam. Diese Lücken sollten nach Kriegsende geschlossen werden, um der aufstrebenden Wirtschaft die nötigen Verkehrswege zu schaffen. Bahn war gestern, dem LKW auf der Straße gehörte die Zukunft.
Doch längst nicht alle Niedersachsen entlang der geplanten Trasse waren mit dem „Jahrhundertprojekt“ aus dem Zehnjahresplan des Bundesverkehrsministeriums von 1956 einverstanden. Den Autobahnplanern schlug insbesondere aus dem Oldenburger Münsterland heftiger Protest entgegen. Eine kritische Zivilgesellschaft verlangte Mitsprache. Lokalpolitiker, Landtagsabgeordnete, Landwirte, Naturschützer, Gutsbesitzer, Kommunen, die Kreise Vechta und Cloppenburg, Landvolkverbände sowie die Industrie- und Handelskammer sorgten in ihrer Auseinandersetzung um das Pro und Contra A1 für eine äußerst komplexe Gemengelage.
Ein mit Buntstiften auf Landkarten gezogenes Liniensystem sollte für den notwendigen Überblick sorgen. Rote, grüne oder braune Streckenvariante? In der Auseinandersetzung um Grundstücksentschädigungen und Enteignungen, im politischen Kräftemessen zwischen den Kreisen Vechta und Cloppenburg waren am Ende auch persönliche Attacken kein Tabu mehr.
Erst 1962 fiel der Startschuss zum Bau des Teilstücks, der sechs Jahre später in der Eröffnung des Lückenschlusses gipfelte. Fortan konnte der Verkehr ungestört von Osnabrück über Bremen an die Ostsee rollen – eine Vision, über die sich irgendwo im Stau auf einer der verkehrsreichsten Autobahnen Deutschlands, trefflich sinnieren lässt.
Teaserbild: Freigabe der „Hansalinie“ am 14. November 1968. Die offizielle Eröffnung fand, um den Verkehrsfluss nicht zu stören, an der Anschlussstelle Hasbergen-Gaste, der heutigen A30, statt. Foto © Museumsquartier Osnabrück, Fotosammlung / Karte mit Streckenvarianten der Hansalinie vom 24.August 1957, Niedersächsisches Landesarchiv Abteilung Oldenburg, NLA OL Rep 400 Akz.226 B Nr.612