„Stukas greifen an!“

Braune Relikte 22: Spielbrett mit Anleitung. Das Brettspiel „Stukas greifen an!“.

Regelmäßig in der Geschichte wird versucht, Kinder spielerisch und rollenbezogen auf Kriege vorzubereiten. In der Anleitung dieses NS-Spiels heißt es: „Nun versucht, tüchtiger Stuka-Flieger zu sein und mit den meisten Abschüssen, dabei unversehrt in den Fliegerhorst zurückzukehren.“

Das Brettspiel „Stukas greifen an!“ gehörte zu den Kriegsspielzeugen, die deutsche Jungen spielerisch auf den realen Krieg vorbereiten und für besonders beliebte Waffengattungen wie die Luftwaffe oder die Panzertruppe werben sollten. Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 wurde aus Spiel, Ideologie und Propaganda bittere Wirklichkeit. Einerseits zogen Soldaten aus zum Töten fremder Soldaten oder Zivilistinnen und Zivilisten, die Widerstand leisteten und weltanschaulich als minderwertig bezeichnet wurden; Frauen wurden vergewaltigt. Andererseits kehrten von den 18 Millionen deutschen Soldaten, die während des Zweiten Weltkrieges eingesetzt wurden, 5,2 Millionen nicht mehr zurück.

Das bedingte eine durch ‚Männerlosigkeit‘ geprägte Gesellschaft. Es fehlten Väter, Söhne, Brüder, Partner, männliche Vorbilder. Wer überlebte, blieb oft körperlich und psychisch versehrt. Unzähligen der Rückkehrer gelang der Weg in die Zivilisation nicht oder nur unzureichend. Gewalt und Alkoholismus prägten den Alltag vieler deutscher Nachkriegsfamilien. Ehen gingen zu Bruch. Mancher wählte aus Verzweiflung den Freitod und hinterließ Witwen und Waisen. Nahezu jede deutsche Familie war vom Krieg betroffen. Väter und Söhne wurden „Zur Anlegung eines Wehrstammblattes und zum Zwecke Ihrer Eintragung in die Wehrstammrolle“ militärbürokratisch erfasst – so wie der Osnabrücker Heinrich Scherler (Blumenhallerweg 16) am 8. Februar 1940 – und eingezogen. Die Trauer war groß, wenn statt eines erhofften Feldpostbriefs eine „Gefallenenmitteilung“ zugestellt wurde.

Die Listen der Gefallenen

Am 25. September 1942 sandte das Osnabrücker Pfarramt St. Joseph an die Eltern des Gefreiten Friedrich Westermeyer die beglaubigte Abschrift einer Mitteilung des Oberleutnants Paul Büchner vom 1. September 1942. Büchner teilte als Kompaniechef mit, dass ihr Sohn am 29. August 1942 an der Ostfront gefallen war: „Zum Andenken an Fritz Westermeyer geb. am 19.2.22 – Eingetreten beim Pionier-Bataillon 6 in Minden am 1.10.40. Mit dem eisernen Kreuz ausgezeichnet am 25.8.42 – Gefallen bei Selnkino (Rchend) am 29.8.42 R.I.P.“. Nicht immer konnte Angehörigen wie hier auch ein Foto vom Grab geschickt werden.

Mit zunehmender Dauer des Krieges wurden die Listen der Gefallenen länger. Um den massenhaften Tod, wie ihn die Todesanzeigen in der OTZ vom 10. Mai 1944 (SNS, E 3135) zeigen, zu vertuschen, hielt die Propaganda gegen Ende des Krieges Todesanzeigen bewusst zurück. Vermisste sorgten nicht minder für Leid. Am 19. Oktober 1944 wurde der Obergefreite Herbert Becker, am 23. August 1911 in Osnabrück geboren und seit 17. September 1944 in Estland, von seinem vorgesetzten Offizier Hauptmann Detsch an den zuständigen Ortsgruppenleiter in Osnabrück als vermisst gemeldet (SNS, E 2808).

Angehörige Vermisster schwankten zwischen Hoffnung, Ungewissheit und Verzweiflung. Nach langem vergeblichem Warten brachte die offizielle Todes-Erklärung zwar rechtlich Klarheit, indem z.B. eine Witwenrente ausgezahlt werden konnte. Gleichzeitig blieb ein letzter Rest Hoffnung. Durch die Öffnung russischer Archive nach Ende des Kalten Krieges fanden viele Familien das Grab ihres Angehörigen und so doch noch traurige Gewissheit.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.