1922 eröffnete Louis Moysès sein Musikkabarett „Le Boeuf sur le toit“, das zu einem der berühmtesten Künstlertreffpunkte des 20. Jahrhunderts wurde. 100 Jahre später lässt das Trio Lézard eine Zeit voller Lebens- und Experimentierfreude wieder lebendig werden.
Ein Ballett von Darius Milhaud gab dem Haus im 8. Pariser Arrondissement seinen Namen, doch „Le Boeuf sur le toit“ zog nicht nur „klassische“ Komponisten, sondern auch Jazzmusiker, Chanson- und Revuesänger, Klaviervirtuosen, Maler, Choreographen und Literaten an.
Die berühmten, halbprominenten und gänzlich unbekannten Gäste begeisterten sich für Kunst – in all den verschiedenen Facetten, die sie während der rauschenden „Années folles“ annehmen konnte. Fast im Vorbeigehen entstand die Idee eines „Trio d’anches“ aus Oboe, Klarinette und Fagott, für das zahlreiche Komponisten ganz unterschiedliche Werke komponierten. Die Brüder Fratinelli, die als Clowns Weltruhm erlangten, waren zwischenzeitlich ebenfalls als Rohrblatt-Trio unterwegs und spielten neben zwei Saxophonen ein Sarrusophon, das Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris entwickelt wurde.
Für Virtuosen und Klangmagier bietet das fast vergessene Holzblasinstrument aus Metall, bei dem der Ton durch ein Doppelrohr erzeugt wird, erstaunliche Möglichkeiten. Verbindet doch das Sarrusophon das Leichte und Fließende einer Oboe mit dem durchdringenden Ton des eng verwandten Saxophons. Das Trio Lézard entwirft mit eben diesem und zwei Sarrusophonen ein faszinierend vielschichtiges Porträt der 1920er und frühen 1930er Jahre, das neben den titelgebenden Tangos auch klassische Tänze und Satzformen in ganz unterschiedlichen musikalischen Zuschnitten zeigt. Durch die außergewöhnliche, nie gehörte Besetzung wirkt das Ganze gleichzeitig taufrisch – ganz so, als säße das Publikum nicht vor einem Lautsprecher, sondern wieder im alten „Le Boeuf sur le toit“.
Dabei gelingen Stéphane Egeling, Jan Creutz und Stefan Hoffmann vier echte Entdeckungen. Die Werke von Eugène Bozza, Henry Barraud, Pierre Wissmer und Marc Vaubourgoi, die für ein ursprüngliches Trio d’anches komponiert wurden und nun erstmals auf Tonträger vorliegen, bilden das Rückgrat der herausragend gespielten Aufnahme. Es sind aber nicht die einzigen Highlights, denn die Bearbeitungen der Tangos von Francis Poulenc, Alfredo Barbirolli, Erwin Schulhoff, Bohuslav Martinů und Igor Strawinsky begeistern ebenfalls durch eine ebenso formvollendete wie artistische Darbietung.
Das gilt gleich zu Beginn auch für ein wirklich unvermeidliches Stück dieses Projekts – Darius Milhauds „Le Tango des Fratellini“.
Trio Lézard – Le Tango des Fratellini, Coviello Classics