Technik, Tanz und Tempo

„Der wilde Sound der 20er“ heißt der diesjährige Programmschwerpunkt von BR-Klassik, dem wir nun schon die vierte CD-Einspielung verdanken. Sie vereint mit Eduard Künneke und Hanns Eisler zwei Künstler, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben.

Und der zweite ändert daran wenig. Denn auch auf diesem Tonträger kommen sich der weltgewandte, gefeierte Komponist des „Vetter aus Dingsda“ und der im Klassenkampf gestählte Schöpfer der DDR-Nationalhymne nicht wirklich näher. Dafür illustrieren sie eindrucksvoll die musikalische Bandbreite der „Roaring Twenties“, die von leichtfüßiger, intelligenter Unterhaltungsmusik bis zur politisch engagierten Avantgarde und noch ein gehöriges Stück über diese Eckpunkte hinaus reichte. Beide Werke wurden 1929 für den Rundfunk komponiert und zeugen also auch vom Siegeszug eines neuen Mediums, das ganz unterschiedlichen künstlerischen Positionen zu einer breiten Öffentlichkeit verhalf.

Eislers „Kantate des kleinen Mannes“ mit dem griffigen Titel „Tempo der Zeit“ ist dennoch keine bedenkenlose Huldigung an den technischen Fortschritt. Das kurze Libretto von David Weber alias Robert David Winterfeld, der später den Text zum Jahrhundertschlager „Ein Freund, ein guter Freund“ liefern sollte, weiß um die Schattenseiten der schönen neuen Welt und gibt augenzwinkernd zu bedenken, dass von ihren Errungenschaften wohl nur ein Bruchteil der Gesellschaft profitieren wird: „Ja, wer Geld hat, reist fein durch die Welt. Und wer keins hat, der muss eben laufen …“

Das knapp zwanzigminütige, beinahe unbeschwerte Stück wirkt wie ein Testlauf für spätere, allemal schwergewichtigere Eislers, während die „Tänzerische Suite“ des 13 Jahre älteren Eduard Künneke bereits als ein bemerkenswertes künstlerisches Zwischenfazit betrachtet werden kann. Als er sein „Concerto grosso“ für Jazzband und großes Orchester zu Papier brachte, war er schon ein angesehener Opern- und Operettenkomponist, der auf den deutschen Bühnen, aber auch international Erfolge gefeiert hatte.

Die fünf ebenso eleganten wie virtuosen Sätze werden dem von der „Funk-Stunde“ erteilten Auftrag, gehobene instrumentale Unterhaltungsmusik für die besonderen Bedürfnisse des Rundfunks zu schreiben, mehr als gerecht. Was hier unter der Bezeichnung Foxtrott, Blues, Tango oder Valse Boston zu hören ist, genügt – in puncto Einfallsreichtum und Instrumentationskunst – auch höchsten Ansprüchen.

Das Münchner Rundfunkorchester und Tomasz Tomaszewski (Solovioline Jazzband) lassen den symphonischen Ansatz und die zahlreichen Jazzelemente zu einem integrativen, überaus facettenreichen Klangbild verschmelzen. Unter der Leitung des mit Rundfunkkompositionen bestens vertrauten Ernst Theis entsteht auch bei der Aufführung der Eisler-Kantate jener spezifische Sound der 20er Jahre, der uns über ein Jahrhundert hinweg so verblüffend modern vorkommt. Neben dem Madrigalchor der Hochschule für Musik und Theater München sind in der „Kantate des kleinen Mannes“ Ruth Volpert (Alt), Christopher Dollins (Bariton) und Sprecher Clemens Nicol zu hören.

Eduard Künneke: Tänzerische Suite (Concerto grosso op.26 für Jazzband und großes Orchester) / Hanns Eisler: Kantate op. 16 „Tempo der Zeit“ für Alt, Bariton, Sprecher, Chor, Bläser, Schlagzeug, BR Klassik