Turbulenzen einer Rennbahn

Die Geschichte des Emsländischen Renn- und Pferdezuchtvereins beginnt am 4. Juli 1920. An diesem Tag fand in der Gastwirtschaft Tieding eine Versammlung von Freunden der Pferdezucht und des Rennsports statt.

Initiator der Versammlung war der Lingener Hoffschrör, der vorschlug, zur Veranstaltung von Pferderennen und zur Förderung der Pferdezucht einen Verein zu gründen. An einer Vereinsmitgliedschaft Interessierte konnten sich in einer bei Tieding ausliegenden Liste eintragen. Bald konstituierte sich ein vorbereitender Ausschuss, bestehend aus Landrat Pantenburg und Graf von Galen.

Wenige Tage nach dem ersten Treffen bat von Galen die Stadt um ein Grundstück zur Errichtung einer Pferderennbahn. Er dachte an ein mit Fichten bestandenes Gelände am Kleinbahnübergang der Haselünner Straße, also im Bereich der heutigen Schillerstraße. Die Stadt reagierte wohlwollend, sie hoffte auf steigenden Fremdenverkehr und entsprechende Steuereinnahmen. Nach einer Geländebesichtigung stimmten die städtischen Kollegien zu, am 10. Oktober erfolgte die offizielle Vereinsgründung, und am 25. Februar 1921 kam es zum gemeinsamen Vertragsschluss.

Demnach stellte die Stadt das Grundstück kostenlos zur Verfügung, die Kosten für die Anlegung einer Rennbahn aber sowie die Errichtung einer Tribüne hatte der Verein selbst zu finanzieren. Die Bauarbeiten auf dem bereits mit einem Dampfpflug bearbeiteten Gelände begannen zügig, eine rund 1.270 Meter lange und 25 Meter breite Rennbahn für Flach- und Hindernisrennen entstand ebenso wie eine überdachte Tribüne für 400 Personen mit Verwaltungs- und Restaurationsräumen und ein Totalisatorgebäude für die Annahme von Pferdewetten.

Gefahr für die öffentliche Ordnung

Und so konnte vor nunmehr gut hundert Jahren – am 11. September 1921 – das erste Pferderennen stattfinden. In gewisser Hinsicht war die Veranstaltung auch ein Erfolg: sie wurde bemerkenswert gut besucht. Genaugenommen wurde sie zu gut besucht. Denn wegen des enormen Andrangs gelang es nicht, die öffentliche Ordnung am Rennplatz und auf den Zufahrtswegen aufrechtzuerhalten. Die Lingener Polizei war schlichtweg überfordert. Die Kassen waren völlig überlaufen, und angesichts fehlender Ordner strömten die Zuschauer schon vor Rennbeginn ins Innere der Rennbahn. „Ein Wunder, daß kein Unglück passiert ist“, kommentierte später der Lingener Volksbote.

Für das zweite Rennen am 21. Mai 1922 mussten zwanzig Beamte der Schutzpolizei Osnabrück angefordert werden, und Feuerwehrleute sollten verhindern, dass niemand mit Zigarette im Wald herumlief. Der zusätzliche Aufwand kostete, und so befand sich der Verein von Anbeginn in einer finanziell schwierigen Lage. Die immer stärker anziehende Inflation tat ihr Übriges. Entsprechend finanzierte der Verein auch die vergebenen Preise nicht selbst, jedes Mal musste die Stadt erneut um Beihilfe gebeten werden. Die gewährte anfangs großzügig 1.500 Mark, doch von Rennen zu Rennen sank der Betrag.

Faktisch war der Fortbestand des Vereins wesentlich vom Erfolg der nächsten Rennveranstaltung abhängig. So konzentrierte man sich auf die Frühlingsrennen, die Herbstrennen 1922 und 1923 fielen aus. Nach einem finanziell unbefriedigenden Rennen stand man Mitte 1924 schließlich mit 26.000 Mark Schulden da. Einige Gläubiger zogen gar vor Gericht. Man fürchtete das Ende des Vereins und versuchte, die Tribüne auf Abbruch zu verkaufen, obwohl das ohne Zustimmung des Magistrats verboten war.

Schließlich fand sich doch noch eine Lösung. Im Januar 1925 übernahm die Sparkasse des Kreises Lingen die Schulden des Vereins – inklusive der Schulden, die der Verein bei der Sparkasse selbst hatte – und wurde damit Eigentümerin sämtlicher Bauwerke auf dem Rennbahngelände. Der Verein durfte die Rennbahn jedoch weiterhin nutzen, und so fanden auch weiterhin Pferderennen statt. Mit dem Pferdezuchtverband Osnabrück holte man sich einen Partner ins Boot. Fortan stand auch eine Reichsverbandsstutenschau auf dem Programm. 1929 fanden noch einmal ein Frühjahrs- und Herbstrennen statt, 1930 noch eine Stutenschau, doch die finanzielle Situation des Vereins blieb prekär.

Rennbahn ohne Rennen

Im März 1931 beschloss die Sparkasse den Verkauf der Gebäude. Doch die Tribüne war reparaturbedürftig, der Verkauf des Abbruchmaterials hätte vielleicht noch 500 Mark eingebracht. Und der Abbruchwert des Totalisatorhäuschens hätte gerade ausgereicht, seinen Abbruch zu bezahlen. Die Stadt gab ein entsprechend niedriges Angebot ab, und so fiel der Verkauf aus. Was blieb, war eine Pferderennbahn, auf der keine regulären Pferderennen mehr stattfanden. Im Oktober 1931 veranstaltete der Reiterverein für Lingen und Umgebung noch ein einzelnes Rennturnier, und im September 1935 überließ man die Anlage der inzwischen in Lingen stationierten Garnison für ein Jagdreiten. Das letzte Rennen auf der dafür extra wieder hergerichteten Rennbahn, veranstaltet vom Lingener NS-Reiterkorps und der Lingener SA-Reiterschar, fand im Mai 1939 statt.

Bereits 1933 hatte der Landwirt Hermann Bojer, ohnehin längst Pächter dortiger Grünflächen, Interesse an dem Gelände angemeldet. Er wollte hier ein Bauernwohnhaus mit Stallung errichten. Aber die städtischen Kollegien lehnten das zunächst ab. 1936 erwarb er es dann doch – offenbar ohne jeden Vertrag. 1938 baute er einen Teil der Tribüne zu einem Bauernhaus um, 1940 den anderen Teil zu einem Wirtschaftstrakt. 1966 wurde das ganze Gebäude nach einem Blitzeinschlag abgerissen. Der Rennverein lässt sich 1934 zum letzten Mal belegen. Er dürfte wenig später in Konkurs gegangen sein.