Ungeahnt kühn und ganz natürlich

Gabriel Fauré steht im Zentrum des neuen Albums von Thomas Albertus Irnberger und Michael Korstick. Das kongeniale Duo kombiniert sechs seiner Werke für Violine und Klavier mit Kompositionen der nächsten und übernächsten Generation.

Nur wenige Violinsonaten wurden so begeistert gefeiert wie Gabriel Faurés Erstlingswerk, das er mit der Geigerin Marie Tayau im Januar 1877 uraufgeführt hatte. Man finde in diesem Stück „alles, was verführen kann“, jubelte sein Kollege Camille Saint-Saëns im „Journal de Musique“ und begeisterte sich vor allem für die „Neuheit der Formen“ und die „Besonderheit der Modulationen“, aber auch für „kuriose Klänge“ und „einen gänzlich unvorhersehbaren Gebrauch der Rhythmen“. Über alle Maßen staunte Saint-Saëns, dass die Sonate „die breite Masse der gewöhnlichen Zuhörer“ dazu bringe, „ungeahnte Kühnheiten als die natürlichste Sache von der Welt hinzunehmen“.

Tatsächlich bedeutete das viersätzige Werk nach dem verlorenen Krieg und dem Ende des Zweiten Kaiserreichs einen musikalischen Neuanfang im Sinne einer „Ars gallica“, die ebenso unprätentiös wie erfindungsreich auftrat und formale Geschlossenheit mit höchster Virtuosität und harmonischer Experimentierfreude verband. Fauré huldigte diesem Stil auch in seiner zweiten Violinsonate, die rund 40 Jahre später entstand, er trug aber ebenso zu impressionistischen Verfeinerungen bei und beeinflusste so noch die nächste und übernächste Komponistengeneration.

Insofern liegt es nahe, Faurés Sonaten und vier weitere Stücke für Violine und Klavier, darunter die weitbekannte „Sicilienne“ (1893), auf der ersten CD mit Olivier Messiaens „Thème et variations pour violon et piano“ (1932) zu koppeln. Sogar der 63 Jahre später Geborene wusste die Leuchtkraft impressionistischer Farben noch effektvoll einzusetzen. Für Guillaume Lekeu, der den zweiten Tonträger eröffnet, galt das ohnehin. Er komponierte seine Violinsonate 1893 für Eugène Ysaÿe – mit großen Gesten und einem leichten Hang zur Überbetonung, der sich schon in den drei „très“-lastigen Satzbezeichnungen „Très modéré“ – vif et passioné, „Très lent“ und „Très animé“ anzudeuten scheint.

Maurice Ravel besaß ein entspannteres Naturell und schuf 1927 gleichwohl eine der grandiosesten Violinsonaten, die das Genre überhaupt zu bieten hat. Dem vertrackten, noch im Impressionismus haftenden Eingangssatz folgt eine Hommage an die Gegenwart in Form eines phänomenalen Blues´, ehe Ravel Geige und Klavier auf einen Parforceritt durch das atemlose Perpetuum mobile schickt.

Mit schillernden Farben und gleitenden Formen weiß schließlich auch noch Francis Poulencs Violinsonate aufzuwarten. Schon das politische Engagement – der Komponist widmete sein 1942/43 im besetzten Frankreich geschaffenes Werk dem von spanischen Faschisten ermordeten Dichter Federico Garcia Lorca – wies allerdings in eine neue Epoche. Die wurde allerdings auch künstlerisch gefordert, unter anderem von Poulencs Kollegen Darius Milhaud, der „nach all den impressionistischen Nebeln“ eine „einfache und klare Kunst“ verlangte. Thomas Albertus Irnberger und Michael Korstick machen durch ihre zupackende, präzise und nuancenreiche Interpretation sehr anschaulich, wie diese ästhetische Zielsetzung klingen könnte. Umso bemerkenswerter, dass ihnen auch beim emotional überbordenden Lekeu, beim herrlich vertrackten Ravel und den urfranzösischen Faurés technisch herausragende und stilechte Darbietungen gelingen.

A propos. Geiger und Pianist verhindern am Ende, dass Gabriel Fauré vom Neoklassizismus sang- und klanglos aus der Musikgeschichte verabschiedet wird. Ihr allerletztes Stück stammt noch einmal aus der Feder von Maurice Ravel, der sich 1922 mit der „Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré“ an einer „Revue musicale“ zu Ehren seines großen Vorgängers beteiligte.

Thomas Albertus Irnberger & Michael Korstick – Französische Violinsonaten. Mit Werken von Gabriel Fauré, Olivier Messiaen, Guillaume Lekeu, Maurice Ravel und Francis Poulenc, 2 CDs, Gramola