Unruhige Zeiten

Kunstwerke werden oft selbst zum Ausgangspunkt neuer Schöpfungen. Für das 1. Streichquartett der dänischen Komponistin Hanne Tofte Jespersen gab es gleich zwei Paten: Das berühmte „Quintenquartett“ von Joseph Haydn und Benjamin Brittens D-Dur-Quartett op.25. Alle drei sind nun auf einer CD vereint.

Dass Haydn seinen Geniestreich am Vorabend gewaltiger und gewaltsamer Umwälzungen in ganz Europa und Britten das D-Dur-Quartett mitten im Zweiten Weltkrieg geschrieben hatte, war Jespersen natürlich bewusst. Beide Werke sind von ständiger Unruhe und Nervosität geprägt. Ein Gefühl der Angst, Bedrohung und nahenden Katastrophen schleicht durch die Sätze, das aber durch Lichtblicke, harmonische Aufmunterungen, spielerische Elemente und Perspektiven auf ein friedliches Ende immer wieder konterkariert wird.

Hanne Tofte Jespersen komponierte ihr Quartett im Laufe des ersten Corona-Lockdowns im Jahr 2020, als die Welt ein weiteres Mal still zu stehen schien. Während der Aufnahmen, die von Februar bis Mai 2022 stattfanden, brach mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ein neuer Krieg über Europa herein. Auch diese Ereignisse werfen ihre emotionalen Schatten in den historischen Klangraum, den Jespersen über eine „Hommage à Britten“ und eine „à Haydn“ bis ins späte 18. Jahrhundert spannt.

So entwickelt sich ein faszinierender Trialog voll überraschender Einfälle und Echowirkungen. Komponisten, Musiker und Zuhörende scheinen sich schließlich auf einer Empfindungsebene zu befinden. Vielleicht entsteht aus diesem flüchtigen Gefühl der Zusammengehörigkeit der Hoffnungsschimmer im Strudel der Zeiten.

Der außergewöhnlichen Idee des Projekts entspricht die herausragende, sehr geschlossene und hochkonzentrierte musikalische Darbietung durch drei Viertel des Nordic String Quartet und die Violinistin Kirstine Schneider. Sie vertritt die etatmäßige erste Geigerin Heiðrun Petersen. Neben Schneider sind Mads Haugsted Hansen (2. Violine), Daniel Eklund (Viola) und Lea Brøndal (Cello) zu hören.

Urolige Tider – Times of Unrest. Joseph Haydn: Streichquartett d-moll op. 76/2, Hanne Tofte Jespersen: Streichquartett Nr. 1 „Urolige Tider“, Benjamin Britten: Streichquartett Nr. 1 D-Dur op.25, Danacord