Sie wurden für den Verfall der Sitten verantwortlich gemacht, als Bedrohung des Seelenheils empfunden und nicht nur vom Papst, sondern auch von Königen, Kaisern und Polizeibehörden verboten: Doch die Popularität von Chaconne, Fandango, Walzer oder Tango war stärker als der obrigkeitliche und kirchliche Widerstand. Das neue Album des Ensembles La Ninfea bringt unter dem Titel „From Taboo to Triumph“ vier Jahrhunderte zwielichtiger Tänze zum Klingen.
„Der Tango ist der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens“, befand der irische Dramatiker Georg Bernhard Shaw, während der deutsche Kaiser Wilhelm II., der ein Faible für Märsche hatte, auch in dieser Angelegenheit keinen Spaß verstand. Ende 1913 verlangte er von seinen Offizieren und den Mitgliedern der allerhöchsten Familie „sich sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privaten eines ausgesprochen widerwärtigen Tanzes zu enthalten“. Im Süden des Landes wurde der Unwillen des Monarchen geteilt. Die Königlich Bayerische Polizeidirektion in München verbot den Tango in der Faschingssaison 1914 „ein für allemal“. Dass die selbsternannten Sittenwächter auf Dauer keinen Erfolg haben würden, hätten sie allerdings wissen können. Schließlich waren schon manche Vorgänger bei dem Versuch gescheitert, den Menschen mit dem Tanzen ein Stück Lebensfreude und sicher auch die eine oder andere Grenzüberschreitung zu untersagen.
Das Bremer Ensemble La Ninfea revanchiert sich nun für all die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit mit einer Tanzstunde, die alle Barrieren hinter sich lässt. Von Michael Praetorius´ „Volta“ und „Sarabande“ schlagen die Spezialisten für Alte Musik einen Bogen über Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Soler bis zu Astor Piazolla und Paolo Pandolfo. Epochen- und Genregrenzen spielen dabei keine Rolle und die Noten lassen sich auch nicht immer nur einem Komponisten zuordnen. In den Collagen „Chaconne à l´argentine“, „Lockriollo“ und „Amanoroso“ wird aus dem musikalischen Material unterschiedlicher Jahrhunderte etwas ganz Neues, das freilich immer noch zum Tanzen oder wenigstens zum Mitwippen einlädt.
Die historisch-gesellschaftliche Dimension dieses Projekts verführt zu interessanten Überlegungen und Querverbindungen unterschiedlichster Art – die musikalische Seite ist schlicht außergewöhnlich. Barbara Heindlmeier, Christian Heim, Marthe Perl, Nadine Remmert und Stefan Gawlick bieten die Kompositionen, Arrangements und Collagen mit so viel Elan, Begeisterung und Präzision dar, dass man nach dem Abschiedstango – Gerardo Matos Rodriguez´ mit Diskantgambe dargebotenem „La Cumparsita – direkt wieder von vorne anfangen möchte.
La Ninfea – Danzas. From Taboo to Triumph, Perfect Noise