Die Nationalsozialisten brandmarkten die Werke der Avantgarde und die von Komponisten jüdischer Herkunft als „Entartete Musik“ – die italienischen Faschisten nannten sie „Musica degenerata“. Auch südlich der Alpen wurden Komponisten diskriminiert, verfolgt, vertrieben und ermordet. Der Klarinettist Davide Casali und der Pianist Pierpaolo Levi erinnern an kaum noch bekannte Klänge und Schicksale.
Das CD-Projekt entstand im Rahmen des Festivals Viktor Ullmann, das 2014 in Triest gegründet wurde. Die Organisatoren wollen hier die Erinnerung an Künstler lebendig halten, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und ihres gesellschaftlichen oder politischen Engagements verfolgt, aus ihrer Heimat vertrieben, ermordet oder in den Tod getrieben wurden – wie der 1868 in Turin geborene Leone Sinigaglia, der im Mai 1944 von der faschistischen Polizei in seinem Versteck aufgespürt wurde und einen Herzinfarkt erlitt.
Davide Casali und Pierpaolo Levi spielen seine 12 Variationen über Schuberts „Heideröslein“, eine tiefromantische und – vor dem Hintergrund von Sinigaglias tragischer Lebensgeschichte – beklemmend unbekümmerte Komposition aus dem Jahr 1898. Die Weltersteinspielung der „12 Variazioni“, die ebenfalls erstmals aufgenommene Humoreske „Il trenino capriccioso“ von Kurt Sonnenberg und Albert Gentilis kapriziöse „Serenatella“ sind für die Besetzung Klavier und Klarinette geschrieben – die anderen stellt Pierpaolo Levi alleine vor.
Aufhorchen lassen hier vor allem Guido Nacamulis fünf spätimpressionistische Klavierstücke, zu denen er sich 1926 von Gedichten unterschiedlicher Epochen inspirieren ließ und Aldo Finzis „Toccata“, welche die Begeisterung für (vor)barocke Musik, die viele italienische Komponisten seiner Generation teilten, um ein virtuoses Kapitel bereichert.
Der mutmaßlich prominenteste Name in der Reihe vieler Unbekannter, von denen man gerne noch deutlich mehr erfahren würde als ein schmales CD-Booklet hergeben kann, gehört Mario Castelnuovo-Tedesco. Der 1895 in Florenz geborene Künstler emigrierte 1939 aufgrund der faschistischen Rassegesetze in die USA, sein von Levi eingespieltes „Epigrafe“ für das berühmte Grab der Madonna Ilaria del Carretto in Lucca stammt aus dem Sommer 1922.
Eine allemal verdienstvolle Aufnahme, auch wenn sie interpretatorisch und tontechnisch noch etwas Luft nach oben lässt.
„Musica degenerata“. Davide Casali & Pierpaolo Levi spielen Werke von Leone Sinigaglia, Emilio Russi, Guido Nacamuli, Alberto Gentili, Mario Castelnuovo-Tedesco, Renzo Massarani, Kurt Sonnenfeld und Aldo Finzi, Tactus