Richard Strauss wurde einer der populärsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, Ludwig Thuille geriet nach seinem frühen Tod mit nur 46 Jahren schnell in Vergessenheit. Beide waren nicht nur Zeitgenossen, sondern Freunde und Kollegen, bisweilen enge Vertraute. Die Mezzosopranistin Anne Schuldt und die Pianistin Annette Seiler bringen Thuille und Strauss nun wieder zusammen.
Dass der gebürtige Bozener, der mit Rudolf Louis eine jahrzehntelang als Standardwerk betrachtete Harmonielehre (den „Louis-Thuille“) verfasste, auch ein versierter Liedkomponist war, zeigen zehn sorgsam ausgewählte Beispiele, die vom bodenständigen, volksliedhaften Ton bis in die feinen harmonischen Verästelungen des Fin de siècle reichen. Anne Schuldt verbindet klare Artikulation mit dramatischen Spannungsbögen und atmosphärischer Dichte und legt ihren Hörern herausragende Kompositionen wie „Ganymed“, „Die Insel der Vergessenheit“ oder die titelgebende Eichendorff-Vertonung „Seliges Vergessen“, in der „all meine Wehen / verschweben, vergehen“, als echte Repertoireerweiterung nahe.
Ganz nebenbei kann Ludwig Thuille als Meister der pianistischen Kleinform entdeckt werden. Vier Solostücke, mit Verve und Eleganz präsentiert von Annette Seiler, unterbrechen den Liedvortrag, um ganz eigene Akzente zu setzen. Auf besonders verblüffende Weise gelingt das bei der Gavotte op.43 Nr.1, die nicht ihre barocke Tradition, sondern jazzartige Rhythmen und impressionistische Klangfarben in den Vordergrund rückt.
Spätromantik in ihrer schönsten und suggestivsten Form zelebrieren die acht Strauss-Lieder nach Texten von Hermann von Gilm. Die Vertonung des schwermütigen Gedichts „Die Nacht“ bietet auf dieser CD die einzige Möglichkeit eines direkten Vergleichs mit einer Version von Ludwig Thuille, der auf komplexe Harmonien setzt, während der drei Jahre Jüngere nur wenige Takte braucht hat, um in einen seiner unwiderstehlichen Melodienströme zu gelangen.
Die weltberühmte „Zueignung“ sorgt im zweiten Teil für einen einsamen, auch vom Freund und Kollegen kaum überbietbaren Höhepunkt. Strauss wusste recht gut, dass ihm hier ein seltener Geniestreich gelungen war. Nach der Ausgangskomposition im Jahr 1885, spielte er das Lied selbst mehrfach als Klavierbegleiter ein und erstellte 1940 noch eine Orchesterfassung.
Seliges Vergessen. Lieder von Ludwig Thuille und Richard Strauss, musikmuseum