Braune Relikte 11: Arbeiterwohnküche und Suppentopf
Die Fürsorge des NS-Staates war bewusste Strategie. Von seinen Segnungen profitierte nur ein Teil der Bevölkerung. Die „Volksgemeinschaft“ zeigte sich gegenüber den als „arisch“ und „deutsch“ definierten Bürger*innen solidarisch, während andere – Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, „Asoziale“, PoC u.a. – gezielt ausgegrenzt wurden. Der nationalsozialistische Sozialstaat war mithin ein Instrument sozialer Spaltung zur Durchsetzung einer ausgrenzenden Ideologie.
Angesichts der brutalen Folgen des Nationalsozialismus verwundert es, wenn heute Zeitzeug*innen nicht selten berichten, dass „damals nicht alles schlecht“ gewesen sei. Tatsächlich bemühte sich der NS-Staat, die Massen etwa durch soziale Maßnahmen für die eigenen Ziele zu mobilisieren und künstlich eine „Volksgemeinschaft“ zu kreieren. „Volksgenosse“, also Teil dieser Gemeinschaft, konnte allerdings nur werden, wer in das ideologische Konzept passte. Während die einen also von dem System profitierten, wurden andere systematisch ausgeschlossen: etwa Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma, Homosexuelle, Obdachlose, Oppositionelle, Zeug*innen Jehovas oder People of Colour.
Zur Etablierung der „Volksgemeinschaft“ integrierten die Nationalsozia-list*innen sozialistische Elemente in ihre Ideologie. Neben inszenierten Kundgebungen und der Ritualisierung jährlich wiederkehrender spezifisch nationalsozialistischer Feste und Feiertage gehörte dazu die Schaffung zahlreicher sozialer Einrichtungen. Das Winterhilfswerk (WHV) organisierte jährlich Straßensammlungen oder „Opferwochen“. Durch die Spende, die gegen kleine Winterhilfsabzeichen erfolgte, zeigte sich „der Volksgenosse“ solidarisch mit sozial schlechter Gestellten. Solche Aktionen ließen sich propagandistisch gut verwerten, um das Bild einer echten Schicksalsgemeinschaft zu vermitteln.
Ein frühes propagandistisches Instrument waren die „Eintopf-Sonntage“. Am 13. September 1933 verpflichtete die Reichsregierung alle Familien und Restaurants, jeweils am ersten Sonntag der Monate Oktober bis März nur ein Eintopfgericht zu verzehren bzw. anzubieten. Das dadurch am „Sonntagsbraten“ gesparte Geld wurde vom Blockwart nach Listen eingesammelt und an die NS-Volkswohlfahrt abgegeben. Parteigrößen nutzten solche Tage für öffentlichkeitswirksame Auftritte. Mit Aktionen wie den Eintopf-Sonntagen wollten die Nationalsozialist*innen nicht nur zur Sparsamkeit anregen, sondern durch das Solidaritätsgefühl auch die propagierte „Volksgemeinschaft“ stärken.
Als Keimzelle der „Volksgemeinschaft“ galt die traditionelle Ehe. Zur Steigerung der Geburtenrate und zur Entlastung des Arbeitsmarktes wurden Paare steuerlich begünstigt und erhielten schon ab 1933 großzügige Ehestandsdarlehen, wenn sie den rassistisch-ideologischen Anforderungen genügten und sich die Frauen aus dem Berufsleben zurückzogen. Dagegen ging der Staat restriktiv gegen ihm missliebige Ehen vor. Seit Oktober 1935 durfte keine Ehe mehr ohne amtliches „Ehegesundheitszeugnis“ geschlossen werden. Volksgenoss*innen heirateten weder Juden oder Jüdinnen, noch People of Colour oder Sinti und Roma. Ehestandsdarlehen konnten bis zu 1.000 RM beantragt werden. Sie waren zinslos und wurden jährlich mit 1 % der Gesamtsumme getilgt.
Mit einem solchen Darlehen wurde auch die Wohnküche des Osnabrücker Eisenbahnarbeiters Heinrich Friedrich Menke (1906–1978) und seiner Schwester Hermine Haseköster (gest. 1976) finanziell unterstützt. Hermine heiratete nach Dortmund und erwarb die Küche mit ihrem Ehemann. Sie wurde 1938 geliefert. Als kinderlose Kriegerwitwe kam sie 1942 zurück nach Belm in das elterliche Haus (Karl-Adams-Weg 2) und lebte dort gemeinsam mit dem ledigen Bruder. Sie brachte die Küche in den Haushalt ein.
Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.