Vordenkerin und Frauenrechtlerin

Ihre Heimatstadt zählte zu den ersten deutschen Kommunen, deren Wählerschaft einer Frau aus dem einfachen Volk den Weg ins Parlament bahnte. Von 1924-32 vertrat Alwine Wellmann (1891-1966) Osnabrück im Preußischen Landtag.

Dass Frauen politische Versammlungen besuchen, war in Deutschland Jahrhunderte lang lang undenkbar. Ab 1904 durften sie derartigen Zusammenkünften allenfalls im separierten Bereich und ohne jede Artikulationsmöglichkeit beiwohnen und wurden dafür verächtlich „Frauenzimmer“ genannt.
Vier Jahre später konnten die politischen Parteien weibliche Mitglieder endlich aufnehmen. Selbst wählen durften Frauen erst, nachdem dies die Sozialdemokratie im Zuge der Novemberrevolution 1918 gegen alle Widerstände durchsetzen konnte.

Die Tochter eines Schlossers begann sich bereits gewerkschaftlich zu organisieren, als dies jungen Frauen noch verboten war. Früh schrieb sie Artikel in der sozialdemokratischen Tageszeitung „Osnabrücker Abendpost“. Der Sozialdemokratie schloss sie sich an, weil dies bis zum Ersten Weltkrieg 1914 die einzige deutsche Partei war, die für ein Frauenwahlrecht kämpfte.

Unterwegs mit der „Roten Alwine“

Auch die Männer in der SPD entdeckten schnell das ungeheure Schreib- und Redetalent der gelernten Buchhalterin. Bereits 1921 wurde sie als Kandidatin für den Preußischen Landtag aufgestellt. Dem gehörte sie ab 1924 auch an. Die Fläche Preußens war in etwa so groß wie das heutige Deutschland, Alwine Wellmann reist landauf landab.

Das Redetalent der jungen Sozialdemokratin, die übrigens auch hervorragend singen und Klavier spielen konnte, sprach sich schnell herum. Sie trat unter anderem auf großen Kundgebungen in Hannover, Oldenburg, Magdeburg, Stettin oder Trier auf. Besonders bemerkenswert waren Auftritte in Enschede, aber selbst in Bulgarien oder in der Türkei zeigte Wellmann Präsenz.

Wahlkampfveranstaltung der Eisernen Front, die einen Zusammenschluss von Gewerkschaften, Arbeitersportvereinen und der republiktreuen Wehrformation „Reichsbanner“ bildete. Der Landtagsabgeordnete Walter Bubert war ebenfalls ursprünglich Osnabrücker und amtierte bis 1933 als Landrat in Emden.

Immer wieder appellierte sie insbesondere an ihre Geschlechtsgenossinnen, selbstbewusst für eigene Rechte, den Sozialismus, Frieden und Demokratie zu kämpfen. Aber auch auf der SPD-Reichsebene setzte sie wichtige Akzente. Es ist vor allem Alwine Wellmann zu verdanken, dass der Internationale Frauentag alljährlich durch die Partei begangen wird.

Kein „Sieg Heil“ im Osnabrücker Rat!

Wellmann war eine profilierte Friedenskämpferin, sie stand für sozialistische Politik und demokratische Werte. Sie ging in Naziversammlungen und hielt dort mit klarer Stimme dagegen. Mutig verweigerte sie noch im April 1933 im Osnabrücker Rat den „Sieg Heil“-Ruf, obwohl sie dabei von Nazis umringt war.

Am 2. Mai dieses Jahres wurde Alwine wie andere Sozialdemokraten mit einem Schmähschild durch die Stadt getrieben und anschließend inhaftiert. Im Herbst 1933 gestattete man ihr unter schweren Auflagen die Ausreise nach Bulgarien, wo sie bis 1948 bleiben konnte. Ihr Überleben sicherte dort unter anderem die Scheinehe mit einem bulgarischen Sozialdemokraten.

Alwine Wellmann verbrachte die letzten Lebensjahre wieder in ihrer Geburtsstadt. 1948 kehrte sie nach Osnabrück zurück, engagierte sich für den Wiederaufbau der SPD und arbeitete von 1950 bis 1953 als Vertrauensfrau für politisch Verfolgte bei der Bezirksregierung. Gegen ihren energischen Widerstand wurde diese Funktion allerdings ersatzlos abgeschafft. Für die verbitterte Alwine war die Verwaltung zu jener Zeit wieder „… vom alten, gefährlichen Geist beseelt.“

Eine Straße für Alwine Wellmann

Osnabrücker Stadtgeschichte rankt sich gemeinhin um berühmte Männergestalten: Möser, Stüve, Remarque, Nussbaum, Vordemberge-Gildewart oder Calmeyer stehen oft im Zentrum des Interesses. Lange wurde darüber hinweggegangen, dass es auch Frauen in der Stadthistorie gab, deren Lebensweg eine weit stärkere Beachtung verdient hätte. Am 11. Februar 2020 wurde eine Straße am Limberg nach Alwine Wellmann benannt – eine weitere bekam den Namen ihrer Genossin Anna Siemsen.

Heiko Schulze, der Autor dieses Artikels, hat 2018 die erste Biografie der Politikerin und Frauenrechtlerin vorgelegt. „Unsere Erste – Alwine Wellmann“ erschien im Geest Verlag und umfasst 294 Seiten.