Im Laufe des 13. Jahrhunderts entstand in Osnabrück eine erste jüdische Gemeinde. Auslöser waren Geldsorgen des Bischofs. Der Landes- und Stadtherr stellte einigen Juden Schutzbriefe aus und siedelte sie, wohl als Ersatz für Geldwechsler aus der Lombardei, mit ihren Familien in der Stadt an.
1267 wird in Osnabrück mit „Jakob“ erstmals ein Jude urkundlich erwähnt. 1327 lebten bereits 15 jüdische Familien in der Stadt. Sie wohnten vermutlich in der Schweinestraße, der heutigen Marienstraße, in der sich mit der „yoden scole“ (niederdeutsch; Judenschule) ihre Synagoge befand. Dass auch ein jüdisches Ritualbad (Mikwe) existierte, liegt nahe. Der erste jüdische Friedhof befand sich vor dem Natruper Tor am äußeren, im 15. Jahrhundert als „Judengraben“ bezeichneten Stadtgraben.
In der Stadt wurden die Hinzugezogenen offensichtlich eher als lästige Konkurrenz empfunden. Für ihr Wohnrecht mussten sie hohe Abgaben zahlen. In der christlich geprägten Gesellschaft galten Juden zudem als „Ungläubige“, denen der Erwerb des Bürgerrechts versagt blieb. Ohne das Bürgerrecht war es ihnen verboten, ein ‚ehrbares‘ Handwerk auszuüben. Damit blieben ihnen nur wenige Erwerbsmöglichkeiten, darunter der Handel mit Geld. Denn als Juden waren sie nicht vom christlichen Zinsverbot betroffen und durften beim Geldverleih Zinsen erheben. Ihre berufliche Spezialisierung auf Geld- und Bankgeschäfte hängt also eng mit ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung zusammen. Zugleich sorgte das Zinsgeschäft regelmäßig für Konflikte zwischen Juden und Christen, weshalb die Konditionen des Geldhandels streng reglementiert wurden.
Vorurteile schüren die Konflikte zwischen Juden und Christen
Ein starker Antrieb für die alltägliche Diskriminierung der Juden bildete der religiös bedingte Antijudaismus. Für Christen waren die Juden „Christusmörder“. Dies nährte religiöse Wahnvorstellungen, Juden würden z.B. christliche Säuglinge rituell ermorden. Zudem weckten die unterschiedlichen Lebensgewohnheiten wie das Schächten von Tieren Misstrauen. Daher durften die Osnabrücker Juden nach der Ratssatzung von 1336 das nach ihren religiösen Vorschriften geschlachtete Fleisch nur gesondert verkaufen. Die dafür vorgesehenen Fleischbänke im alten Rathaus wurden extra mit einem „Judenbild“ („joden belde“) gekennzeichnet. Es handelte sich dabei wohl um die diffamierende Darstellung einer „Judensau“.
Unter diesen Bedingungen gehörten Konflikte zur Tagesordnung. Wollte sich ein Jude gegen Anschuldigungen wehren, konnte er durch das Schwören eines besonderen Eides seine Unschuld beweisen. Die darin verankerten Konsequenzen, die ihm im Falle eines Meineides drohen sollten, belegen allerdings das große Misstrauen, das die Osnabrücker Bürger den Schutzbefohlenen des Bischofs entgegenbrachten: „Wenn du einen Meineid schwörst, soll dich die Erde verschlingen, […]. Wenn du einen Meineid schwörst, sollst du im Höllenfeuer verbrennen“.
Es ist daher sicher auch kein Zufall, dass gerade in der Zeit, in der sich die jüdische Gemeinde in Osnabrück etablierte, das westliche Südportal der Marienkirche einen programmatischen antijüdischen Figurenschmuck erhielt. Die Kirche wurde zwischen ca. 1300 und Mitte des 14. Jahrhunderts zu einer gotischen Hallenkirche ausgebaut. Wer die Kirche durch das neue „Brautportal“ betrat, wurde durch das biblische Gleichnis von den törichten und den klugen Jungfrauen (Matthäus 25, 1-13) dazu ermahnt, stets gut auf wichtige Ereignisse vorbereitet zu sein.
Die Parabel versinnbildlicht zudem das Weltgericht. Die klugen Jungfrauen stehen für die Seeligen, die törichten für die Verdammten. Das Portal symbolisiert dabei den Eingang zum Paradies. Die durch eine Augenbinde als blind gekennzeichnete „Synagoga“ neben den törichten Jungfrauen als Antagonismus zu „Ecclesia“ und den klugen Jungfrauen ist eindeutig als Abwertung der Juden durch die Christen zu deuten.
Der Pogrom von 1350
Das Misstrauen gegenüber den Juden kulminierte, als Mitte des 14. Jahrhunderts eine Pestepidemie die gesamte europäische Bevölkerung bedrohte. In Unkenntnis der tatsächlichen Infektionsgründe wurden, basierend auf erpressten Geständnissen, Gerüchte gestreut, die Juden würden absichtlich die Brunnen vergiften. Zahlreiche Pogrome folgten. Während des Osnabrücker Pogroms im Sommer 1350 wurden die Juden wie Vieh niedergemetzelt. Es überlebten nur wenige, darunter zwei Söhne des Eleasar, genannt Lipmann. Der eine hieß Uri Halevi, genannt Vivus.
Die Pogrome boten die Gelegenheit, das Eigentum der Ermordeten zu plündern. Schuldner holten sich ihre Pfänder zurück, da es nach dem Mord keine Gläubiger mehr gab. In Osnabrück forderte Johann II. Hoet von der Bevölkerung die Herausgabe des von ihm als Bischof beanspruchten Diebesgutes und prozessierte mehrfach um das hinterlassene jüdische Eigentum.
Um 1360 siedelte der Bischof erneut acht jüdische Familien in Osnabrück an. Diese waren nun sowohl ihm selbst als auch der Stadt gegenüber zinspflichtig. In der Redlinger Straße entstand eine neue Synagoge und 1386 erwarb die Gemeinde vor dem Hegertor auf dem Westerberg einen neuen Friedhof.
Seit Beginn des 15. Jahrhunderts sank die Zahl der jüdischen Familien stetig. Nach der Aufhebung des Zinsverbotes für Christen wurden die Juden als Geldgeber entbehrlich. Daher hob Bischof Johann von Diepholz 1424 auf Drängen des Stadtrates ihren Schutz auf. Die letzten beiden jüdischen Familien verließen die Stadt.
Danach durften sich Juden in Osnabrück nicht mehr ansiedeln. Die für den Viehhandel wichtigen durchreisenden Händler waren nur unter strengen Auflagen geduldet. Erst im 19. Jahrhundert entstand in der Stadt erneut eine jüdische Gemeinschaft. Der dann beginnende Antisemitismus sollte – mit den bekannten fürchterlichen Folgen – nahtlos an viele Stereotype des mittelalterlichen Antijudaismus anknüpfen.