Was ist eine Geschichte?

Der Beginn eines neuen Jahres ist gepflastert mit guten Vorsätzen. Wäre jetzt nicht der ideale Zeitpunkt, um endlich die Geschichte zu schreiben, die schon seit Jahren zu Papier gebracht werden sollte? Wir wollen eine kleine Motivationshilfe geben und starten in unserem „Schreiblabor“ eine neue Serie zum Thema Kurzgeschichten. Bis zum Juli 2024 geht es einmal im Monat um Plots und Figuren, Aufbau und Struktur, Konflikte und deren Lösung. Zunächst aber natürlich um die Frage, was denn überhaupt eine (gute) Geschichte ist.

Wir sind umgeben von Geschichten und bemerken es oft gar nicht. Dabei haben wir mit Werbung, Social Media, Fernsehen, Netflix & Co, Radio oder Computerspielen mehr Stories um uns herum, als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Wir werden damit geradezu überschüttet. Was aber macht eine Geschichte zur Geschichte? Was unterscheidet eine Story von einer bloßen Aneinanderreihung von Fakten oder Erlebnissen? Es ist der Zusammenhang zwischen dem Erzählten!

Wir alle kennen Leute, die gern und viel sprechen, aber wenig mitzuteilen haben. Ganz nach dem ➤ Motto der „Fantastischen Vier“: „Du redest laut, doch du sagst gar nichts.“ Aber wir kennen sicher auch Menschen, denen wir gerne zuhören, weil man sich an die Hand genommen und beinahe auf eine kleine Reise mitgenommen fühlt. Worin liegt der Unterschied? Es ist der Kontext des Erzählten! Edward Morgan Forster formuliert das in seinen „Ansichten eines Romans“ (1927) folgendermaßen:

Wir definieren die Geschichte als Erzählen von Begebenheiten in zeitlicher Folge, […] wobei der Ton auf dem Kausalzusammenhang liegt. ´Der König starb, und dann starb die Königin´ ist eine einfache Geschichte. ´Der König starb, und dann starb die Königin aus Kummer´ ist eine Fabel. Die Zeitenfolge ist eingehalten, doch der Kausalzusammenhang überdeckt sie.

Es ist also wichtig, dass das, was erzählt wird, in einem Zusammenhang steht und eine Logik hat, der wir folgen können. In letzter Zeit hat das kommerzielle Geschichtenerzählen, das Storytelling, an Einfluss gewonnen. Beim Storytelling soll uns eine Geschichte dazu bringen, etwas zu tun, zum Beispiel etwas zu kaufen, jemanden zu wählen, auf eine Webseite zu klicken oder etwas anderes zu tun. Kommerzielles Storytelling ist so erfolgreich, weil Geschichten sehr mächtig sein können.

Wir brauchen gute Geschichten!

Die neurowissenschaftliche Forschung ➤ hat gezeigt, dass unser Gehirn keinen großen Unterschied macht zwischen etwas, das wir selbst erleben, und etwas, das uns geschickt erzählt wird. In beiden Fällen fiebert unser Gehirn mit, und man kann sogar messen, dass bei traurigen oder lustigen Geschichten bestimmte Hormone im Gehirn ausgeschüttet werden. Wer hat nicht schon einmal bei einem Buch oder Film geweint, Tränen gelacht oder mit den Verliebten gelitten?

Forscher vermuten, dass unser Gehirn so auf Geschichten reagiert, weil sie schon immer Teil unserer Kommunikation waren. Von den Höhlenmalereien der Steinzeit über die Bänkelsänger des Mittelalters bis hin zur allgegenwärtigen Seifenoper: Wir wollen unterhalten werden, wir brauchen gute Geschichten. Geschichten sind überall um uns herum, wir können sofort sagen, ob uns eine Geschichte gefällt oder nicht, wir haben einen riesigen Vergleichskosmos an Geschichten.

Nicht ganz so einfach ist es zu erklären, warum uns eine Geschichte gefällt oder nicht gefällt. Deshalb wollen wir in den folgenden Episoden die Bestandteile von Geschichten untersuchen, um herauszufinden, wie eine gute Geschichte funktioniert, wie wir selbst eine gute Geschichte erzählen oder schreiben können.