Die Jahre zwischen den Weltkriegen gelten gemeinhin als „Goldenes Zeitalter“ der Kriminalliteratur – auch und gerade wegen herausragender Autorinnen wie Agatha Christie oder Dorothy L. Sayers. Weniger bekannt ist Josephine Tey, die in den 1920er Jahren zu schreiben begann und kurz vor ihrem Tod im Jahr 1952 den „besten Kriminalroman aller Zeiten“ zu Papier brachte.
Zu diesem Urteil kam jedenfalls die englische Autorenvereinigung „Crime Writers’ Association“, die für „Alibi für einen König“ (Erstveröffentlichung 1951, Original: „The Daughter of Time“) offenbar ein ganz besonderes Faible hatte. Ob der in Zürich ansässige Kampa Verlag diesen Superlativ mitgeht, ist nicht bekannt. In jedem Fall haben sich die Schweizer Krimifreunde aber entschlossen, das Werk von Josephine Tey durch eine umfangreichere Neuauflage zu würdigen.
„Bester Kriminalroman aller Zeiten“, „Grand prix de littérature policière“, „Dutton Mystery Prize“: Obwohl sie für ihre Werke mehrere Auszeichnungen erhielt, gibt es über Josephine Tey, die eigentlich Elizabeth Mackintosh hieß, kaum Glamouröses zu berichten. Denn die Autorin selbst war äußerst öffentlichkeitsscheu. Interviews vermied sie ebenso wie Auftritte. Somit gibt es kaum persönliche Informationen jenseits der harten Fakten über Persönlichkeit, Lebensumstände und Arbeit.
Spurensuche
Hartnäckige Literaturwissenschaftler konnten dennoch einiges über die Schreiberin Tey in Erfahrung bringen. In ihrem Buch „Women of Mystery: The Lives and Works of Notable Women Crime Novelists“ beschreibt Martha Hailey Dubose einige interessante Fakten. Auch Jennifer Morag Henderson, die 2015 die Biographie „Josephine Tey. A Life“ veröffentlichte, gibt Einblicke das Leben und Wirken der Schottin.
Geboren 1896 im schottischen Inverness, wuchs sie mit zwei Schwestern auf. Englisch lernte sie erst in der Schule. Tey absolvierte eine Ausbildung zur Sportlehrerin und gab ihren Beruf auf, um ihre Mutter zu pflegen. Zur gleichen Zeit begann sie literarisch zu arbeiten. Der erste Roman, den Elizabeth Mackintosh unter dem Namen Josephine Tey veröffentlichte, „Klippen des Todes“ (Erstveröffentlichung 1936, Original: „A Shilling for Candles“), wurde von Alfred Hitchcock als Grundlage für den Film „Jung und unschuldig“ verwendet.
Tey war auch als Theaterautorin erfolgreich. Unter dem Pseudonym Gordon Daviot verfasste sie mehrere Bühnenwerke, „Richard of Bordeaux“ wurde über 430 Mal im New Theatre im Londoner West End aufgeführt.
Paradestück: Alibi für einen König
In ihren Kriminalromanen beschäftigte sich Josephine Tey immer wieder mit gesellschaftskritischen Themen und durchbrach dabei oft die Genregrenzen. Häufig ließ sie sich von realen Fällen inspirieren. So auch in ihrem preisgekrönten Krimi „Alibi für einen König“. Hier wickelt sie einen 400 Jahre alten Kriminalfall neu auf, indem sich ihr Protagonist vom Krankenhausbett an die Nachforschungen begibt. Als geübter Kriminologe prüft er die Faktenlage und zeigt auf, dass die allgemein vorherrschende Meinung zu dem Mord, den Richard III. an seinen Neffen begangen haben soll, Ergebnis von Gerüchten und Verleumdung ist.
Die Lesenden werden so Zeuge einer außergewöhnlichen Handlung, die auf der Metaebene den investigativen Prozess in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Ergänzt durch eine feine Charakterzeichnung und eine zunächst simpel anmutende, aber dennoch tiefgründige Erzählebene entspannt sich ein dramaturgisch runder Plot mit kurzweiligem Spannungsbogen.
Für genau diese Qualitäten wird Josephine Tey als Autorin geschätzt. Plot Twists und ungewöhnliche Ansätze sorgen dafür, dass Teys Werk keinen Standards gehorcht und frische Ideen für Krimiliebhaber liefert. So nimmt der Ermittelnde oftmals eine Nebenrolle ein, obwohl suggeriert wird, dass er die zentrale Figur ist. In „Nur der Mond war Zeuge“ (Erstveröffentlichung 1948, Original: The Franchise Affair) beispielsweise zeichnet die Autorin das Idyll des einfachen, beschaulichen Lebens auf dem Land und entlarvt die Szenerie dann gemäß dem Motto „Nichts ist, wie es scheint“. Zudem kommt dieser Kriminalroman genreuntypisch ohne Mord aus. Kurz gesagt: Josephine Teys Werke sind immer für eine Überraschung gut.
Literarische Begegnung als Glücksfall
Dass der Kampa Verlag auf Teys Werk stieß, ist einem glücklichen Zufall zu verdanken. Die kanadische Krimiautorin Louise Penny, die durch Kampa in Deutschland verlegt wird, erzählte dem Verlagsleiter Daniel Kampa von ihrem Lieblingskrimi: „Nur der Mond war Zeuge“ von Josephine Tey. Diese unerwartete Begegnung mit der weitgehend unbekannten Autorin brachte den Stein ins Rollen. „Daniel Kampa war so hingerissen von Teys Krimis, dass er schnell entschlossen war, ihre Werke neu zu veröffentlichen“, erzählt Regina Roßbach, die beim Verlag als Lektorin für das Werk der schottischen Autorin zuständig ist.
Der Startschuss fiel mit „Alibi für einen König“. An dieser deutschsprachigen Neuauflage beteiligte sich Louise Penny mit einem Vorwort. Eine schöne Geste des Verlags, um der Ideengeberin für das Projekt rund um Josephine Tey zu danken. Außerdem ist „Nur der Mond war Zeuge“ bereits in neuer Aufmachung erschienen. Im Herbst 2023 plant Kampa die Neuveröffentlichung eines weiteren Werks. Mit „Der letzte Zug nach Schottland“ wird der dritte Roman in neuem Gewand erscheinen – und hoffentlich auf ebenso großes Interesse bei Krimifans stoßen wie die ersten beiden neu verlegten Werke.
Weitere Informationen auf den Seiten des ➤ Kampa Verlages.
Buchtipp: Josephine Tey: Alibi für einen König, Kampa Verlag 2022, 17,90 €