Verdis wunderbarer Musik zum Trotz wird der hölzerne Plot seiner frühen Oper „Ernani“ immer schwerer vermittelbar. Der niederländischen Regisseurin Lotte de Beer gelang bei den Bregenzer Festspielen 2023 eine eigenwillige, aber durchaus überzeugende Lösung.
Wer tötet wen, wann und warum überhaupt? Diese Frage stellt sich in „Ernani“ noch dringender als die nach dem Sieger des maskulinen Dreikampfs um eine eigentlich schon testosteronmüde Aristokratin. „Ehre“ steht auf dem morschen Gerüst, das die Gesellschaft zum vorläufigen Überleben und Weiterkämpfen zwingt, doch was sich hinter diesem ideologischen Überbleibsel verbirgt, weiß niemand mehr. Die Menschen und die von ihnen angebeteten Ideale sind „schwankende Kähne auf dem Meer der Jahre“, erkennt der König in einem seiner wenigen hellsichtigen Momente. Einziger Trost der haltlosen Erdenbürger: Wenigstens der letzte Überlebende zu sein und den Rivalen noch untergehen zu sehen oder ihn – durch eines der seltsamsten Tötungsutensilien der Operngeschichte – mit dem Klang eines Jagdhorns in den Selbstmord zu schicken.
Lotte de Beer schraubt die überdrehte Geschichte noch eine Windung weiter. Im kargen Bühnenraum von Christof Hetzer wird gefoltert und gemordet, bis das Blut an die Papierwände spritzt. Don Carlo merkt trotzdem nicht, dass seine Kaiserkrone nur aus Pappmaché ist, während sich der alte Silva seine abgebrochene Hochzeit auf einem Gehwagen zurechtschunkelt, Ernani auf den todbringenden Ruf des Horns wartet und Elvira den Katastrophen immer ein Stück hinterherhastet. Welcher Sinn hinter dieser Hass-, Gewalt- und Racheorgie steckt, wüsste wohl keiner der Beteiligten zu sagen – und genau an dieser Stelle wird de Beers absurdes Theater plötzlich ganz real.
Stimmlich und darstellerisch lässt die Produktion ohnehin nichts zu wünschen übrig. Guanqun Yu kämpft mit ihrem Sopran allein auf weiter Flur, aber auf höchstem Niveau und emotional anrührend. Tenor, Bariton und Bass sind mit Saimir Pirgu (Ernani), Franco Vassallo (Carlo) und Goran Jurić erstklassig und angemessen ebenbürtig besetzt. Die Wiener Symphoniker erweisen sich unter der energiegeladenen Leitung von Enrique Mazzola als Motor des wüsten Geschehens und auch der Prague Philharmonic Choir (Einstudierung: Lukáš Vasilek) weiß auf ganzer Linie zu überzeugen.
Giuseppe Verdi: Ernani: DVD und Blu-ray, Unitel