„Wer vergnüget herrschen will …“

2005 wurde Johann Matthesons „Boris Goudenow” mit rund 300 Jahren Verspätung in Hamburg uraufgeführt. Seitdem mehrt sich das Interesse an der eigenwilligen Oper, die 2021 auf dem Programm der Innsbrucker Festwochen für Alte Musik stand. Einen Mitschnitt der Produktion gibt es nun auch auf CD.

Johannes Pausch begründet im Booklet recht überzeugend, warum der englische Gesandtschaftssekretär Johann Mattheson seine Oper als „politischen Fingerzeig“ verstanden wissen wollte, um Englands Haltung im Großen Nordischen Krieg zu beeinflussen. Folgt man dieser These, liegt auch nahe, warum die Uraufführung im Jahr 1710 nicht zustande kam: Ein Erfolg der musikalisch-politischen Initiative war zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich geworden.

Man muss einiges an Erklärungsaufwand betreiben, um „Boris Goudenow” dem Publikum des 21. Jahrhunderts verständlich zu machen. Denn auch inhaltlich gibt die Oper Rätsel auf. Mit einem „Volksdrama“ wie dem 1874 „Boris Godunow“ von Modest Mussorgski haben wir es sicher nicht zu tun. Das Ganze wirkt eher wie eine Mischung aus Liebeskomödie und Polit-Satire – mit einem allerdings verschlagenen und durchaus bedrohlichen Protagonisten, der auf seinen Umwegen an die Spitze des russischen Zarenreichs klare Einsichten in den politischen Machtapparat offenbart.

Wer vergnüget herrschen will,
muss Verstellung üben.
Selten wird ihm das gewehrt
Was er heftiglich begehrt,
oftmals aber angetragen,
was er scheinet abzuschlagen;
was er wünschet in der Still
muss er von sich schieben.

Hier fällt die Aktualisierung leicht, insgesamt ist das von Mattheson selbst verfasste, deutsch-italienische Libretto aber zu lose gefügt, um dramatischen Zug zu entfalten und die Aufmerksamkeit über fast zweieinhalb Stunden zu fesseln. Auch die Charaktere bleiben blass, sodass die Konzentration auf das Musikalische diesem Werk eher zugute kommt. Denn Matthesons Musik fließt munter dahin, besticht durch hübsche Ideen und viel Abwechslung.

Das internationale Jugendorchester Theresia unter Andrea Marchiol bringt die erst 1998 aus Armenien nach Hamburg zurückgekehrte Partitur mit Verve zum Klingen. Oliver Gourdy (Boris) und Sreten Manojlović (Fedro) überzeugen in zwei höchst interessanten Bass-Partien und auch die drei großen Frauenrollen sind mit Julie Goussot (Axinia), Alice Lackner (Olga) und Flore van Meerssche (Irina) sehr gut besetzt.

Johann Mattheson: Boris Goudenow, 2 CDs, cpo