Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund ist das älteste seiner Art im Ruhrgebiet und seit März 2023 Redaktionspartner von „Kulturabdruck“. Regelmäßig präsentiert das Haus ein „Objekt des Monats“ – sowohl online als auch in seiner Dauerausstellung, wo es eintrittsfrei besichtigt werden kann. Wir stellen eine Auswahl dieser Objekte vor und beginnen mit einem ebenso detailreichen wie symbolträchtigen Landschaftsbild aus dem 16. Jahrhundert.
Das um 1550 in Antwerpen entstandene Gemälde des flämischen Malers Herri met de Bles (ca. 1510-1566) erinnert an ein Bild aus einem Wimmelbuch, wie es heute noch in vielen Kinderzimmern zu finden ist. Der Detailreichtum macht Lust, tiefer in das Bild einzutauchen: Es eröffnet sich der Blick auf eine felsige Landschaft, an die grüne Hügel, kleine Wäldchen und ein schroffes Gebirge anschließen. Im Dunst der Ferne liegt rechts eine Hafenstadt, an deren Ufer Schiffe vorbeiziehen. Der breite Fluss verschwimmt mit dem Horizont und deutet so eine unendliche Weite an.
Herri met de Bles hat unterschiedliche Naturformen zu einer Landschaft vereint, die wohl kaum der Realität entspricht. Es handelt sich um eine Fantasielandschaft, die typisch ist für die flämische Landschaftsmalerei: Die so genannte Weltlandschaft bietet durch die Staffelung vieler Landschaftsformen einen allmählich erfahrbaren Raum, der den Anspruch hat, stellvertretend für die gesamte Natur und die von Gott geschaffene Welt zu stehen1. Nach dem Verständnis der Maler*innen des 16. Jahrhunderts beschränkte sich diese Idee allerdings auf europäisch geprägte Landschaften.
Den Gedanken, die gesamte Welt abzubilden, verfolgte der Maler auch mit der Darstellung der Menschen, die durch die Landschaft wandern: Rechts treten Hirten mit ihren Schafen und Hunden heran, vor ihnen prachtvoll gekleidete Männer zu Pferde. Unter den Menschen sieht man mal mehr, mal weniger reich gekleidete Personen, darunter wenige Frauen und Kinder, dafür viele Männer unterschiedlichen Alters. Einige sind mit Helmen und Schwertern als Landsknechte gekennzeichnet, andere tragen turbanähnliche Kopfbedeckungen, um ihre Herkunft aus dem Nahen Osten anzuzeigen. Ein Mann mit schwarzer Hautfarbe in der rechten Bildhälfte trägt eine Krone, die ihn als Fürsten eines afrikanischen Landes erkennen lassen soll. Diese stereotype Darstellung von Menschen ist typisch für die Malerei des 16. Jahrhunderts. Sie will scheinbar umfassend Menschen verschiedener nationaler und sozialer Herkunft sowie verschiedenen Alters und Geschlechts darstellen, um so vermeintlich die Menschheit als Gesamtheit symbolhaft abzubilden.
Folgt man dem Zug der Menschen, erblickt man eine Szene in der linken Bildhälfte: Dort sitzt ein Mann, der mit ausgestreckten Armen zu den Menschen spricht. Das Gewand aus Kamelhaar und der Heiligenschein geben ihn als christlichen Heiligen und Prediger Johannes der Täufer zu erkennen2. Eine zweite, mit zarten Pinselstrichen angedeutete Szene in der Bildmitte verrät den Inhalt der Predigt: Dargestellt ist die Taufe Christi in einem Fluss, die begleitet wird von einem Engel und dem Heiligen Geist in Form einer Taube. Als Zeichen der Taufe erhält Christus von Johannes eine Handvoll Wasser über das Haupt gegossen. Dieser Vorgang kennzeichnet den in der Bibel beschriebenen Auftrag Jesu als Messias3. Das göttliche Heilsversprechen ist Inhalt der Predigt des Täufers, die Met de Bles im Bild darstellt. Indem die biblische Szene in eine Weltlandschaft verlegt worden ist, wird die christliche Botschaft vermeintlich in die ganze Welt getragen.
Das Gemälde von 1550 gehört zu den frühesten niederländischen Landschaftsbildern. Als Erfinder dieser Gattung gilt Joachim Patinir (1483-1524), der ebenfalls in Antwerpen tätig war. Die Landschaftsmalerei entwickelte sich zu einer Spezialität der niederländischen Malerei, die im 16. und 17. Jahrhundert international gesammelt wurde. In Antwerpen hatte sich ein florierender Kunstmarkt entwickelt, sodass Met de Bles dort wahrscheinlich eine Werkstatt betrieb, die Landschaftsgemälde für den freien Markt produzierte.4 Käufer*innen der Landschaftsmalereien waren Bürgerliche, in deren Häusern die Gemälde aufgrund ihres kleinen Formats bequem Platz fanden.
Über den Maler Herri met de Bles ist wenig bekannt: Im Großen Maler-Buch (1602) von Karel van Mander wird er als Spezialist für Landschaften mit „kleinen Bäumen, Felsen, Städtchen und Figuren“ beschrieben. Seine Gemälde befänden sich in Amsterdamer Sammlungen sowie in Italien und im Heiligen Deutschen Reich. Sein Markenzeichen sei der Detailreichtum, der schon die Menschen des 17. Jahrhunderts zu Suchspielen animiert hätte5. Und auch in diesem Bild mögen diejenigen, die aufmerksam hinsehen, die kleinen Mäuse und Eidechsen im Vordergrund entdecken.
1 Repp-Eckert, Antje: Niederländische Landschaftsmalerei von 1580-1680, Köln 1989, S.5
2 Beitrag „Johannes der Täufer“, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 7, Freiburg i. Br. 1974
3 Beitrag „Taufe Jesu“, in: LCI, Bd. 4, Freiburg i. Br. 1972
4 Gaschke, Jenny/ Wiemann, Elsbeth: Die Weltlandschaft, in: Kat. Stuttgart: Die Entdeckung der Landschaft. Meisterwerke der niederländischen Kunst des 16. & 17. Jahrhunderts, Köln 2005, S.17-26
5 Van Mander, Karel/ Floerke, Hanns: Das Leben der niederländischen und deutschen Maler, Bd.1, München 1906, S.161-63