Rund drei Jahrhunderte trennen uns von den großen Geigenvirtuosen der Barockzeit. Und doch reicht ein Bogenstrich, um sie in die Gegenwart zu holen oder uns in die Vergangenheit zu befördern. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls das Album der jungen spanischen Geigerin Anna Urpina, die aus acht ganz unterschiedlichen Werken eine einzige große Erzählung formt.
Klar ist schon nach den ersten Takten: Das Adjektiv „modern“ bezieht sich nicht nur auf die Werke der zeitgenössischen Komponisten. Denn zu ihrer Zeit erhoben natürlich auch der exzentrische Heinrich Ignaz Franz von Biber, der rund um die Uhr aktive Georg Philipp Telemann oder Stargeiger Arcangelo Corelli den Anspruch, ihrem Publikum das Neueste vom Neuen zu bieten. Der Venezianer Dario Castello veröffentlichte seine Sonaten in den 1620er Jahren sogar explizit mit der Bemerkung „in stil moderno“.
Also alles schon mal dagewesen? Das nun auch wieder nicht. Anna Urpina, die auf Biber Anton von Webern, auf Castello José Luis Turina, auf Corelli Josep Maria Guix und auf Telemann Arvo Pärt folgen lässt, betont geradezu die Gegensätze, die sich aus unterschiedlichen Inhalten, Farben und Formen, stilistischen und technischen Besonderheiten oder geschmacklichen Vorlieben ergeben. Die „alte“ Musik spielt sie auf den Darmsaiten einer tiefer gestimmten Barockgeige, inspirierend begleitet von Eva del Campo – die neueren Stücke mit modernem Instrument und dem feinsinnigen Pianisten Alberto Rosado.
In Urpinas immens facettenreicher und transparenter Darbietung entfalten die acht Werke nicht nur einen reizvollen Dialog über die Jahrhunderte. Sie sind in dieser Kombination eigentümlich aufeinander bezogen, als würden sie zusammen und gemeinsam die Geschichte der Violine und ihrer beispiellosen Faszination erzählen müssen. Das Finale des Albums, Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“, taugt so deutlich mehr zum Titel und Motto als die vergleichsweise belanglose Begriffskombination „Baroque/Modern“.
Anna Urpina – Baroque / Modern. Mit Werken von Heinrich Ignaz Biber, Anton Webern, Dario Castello, Arcangelo Corelli, Jose Luis Turina, Josep Maria Guix, Georg Philipp Telemann und Arvo Pärt, CD, IBS Classical