Zerbröselnder Faust, träumendes Gretchen und ein lachender Mephisto

Als Franz Liszt von Großherzog Karl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach 1848 zum Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten ernannt wurde, war die Zeit des rastlosen Klaviervirtuosen, der ganz Europa begeistert hatte, endgültig vorbei. Der 37-Jährige wurde sesshaft und wirkte nun vor allem als Komponist, Dirigent und Pädagoge.

Seine Passion für Goethes „Faust“ erfuhr durch den konsolidierten Lebensstil allerdings keine Unterbrechung. Im Gegenteil: Was vor rund zwei Jahrzehnten durch die erste Lektüre begonnen hatte, wurde in Weimar stetig genährt, befeuert und veredelt. 1858, zur Einweihung der Denkmäler für Goethe, Schiller und Wieland, war dann auch ein Monument aus der Feder Franz Liszts bereit für die Uraufführung.

Hätte es Beethovens 9. nicht gegeben, wäre die Faust-Sinfonie sicher als noch radikaler wahrgenommen worden, doch Umfang, Besetzung oder die schwebende Nicht-Tonalität des Anfangssatzes gehen auch so weit über alles Zeittypische hinaus. Die eigentliche Sprengung der Gattungsgrenzen vollzieht sich allerdings in der bahnbrechenden Idee, ein Orchesterwerk als Abfolge psychologischer Porträts zu gestalten. Der knapp halbstündige Eingangssatz zeigt den unheroischen Titelhelden, den Liszt sehr zu Recht als „zersplittert und zerbröselt“ empfand. Gretchen gönnte er dagegen seine „Liebestraum“-Tonart As-Dur, während er Mephisto als einen (aus Faust und Gretchen) gemischten Charakter auftreten ließ, dessen diabolischem Lachen immer noch Würde und eine Spur Verzweiflung anhaftet.

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Die Staatskappelle Weimar formt die drei Charakterbilder unter ihrem früheren Chefdirigenten Kirill Karabits zu einem gewaltigen Klangporträt, das die flüchtigen lyrischen Momente ebenso präzise nachzeichnet wie die rauschhaften, sich mitunter selbst überschlagenden Aufschwünge. Den Herren des Opernchores des Deutschen Nationaltheaters Weimar und des Landesjugendchores Thüringen gelingt mit dem Tenor Airam Hernández ebenfalls eine überzeugende Darbietung, auch wenn ihr Auftritt im abschließenden „Chorus mysticus“ nur fünf Minuten dauert.

Die CD vervollständigt die aktuelle Weimarer Liszt-Edition und bietet mit der Ersteinspielung des Mephisto-Walzers Nr.3 noch ein besonderes Highlight. Kirill Karabits hat die von Alfred Reisenauer im späten 19. Jahrhundert begonnene Orchestrierung vollendet und ein stimmungs- und farbenreiches Bravourstück für die Konzertbühne geschaffen. Die Aufnahme ist ein Mitschnitt der Uraufführung, die im Juni 2022 stattfand.

Franz Liszt: Faust-Sinfonie, Mephisto-Walzer Nr.3, audite