Trotz seiner Ächtung durch die Nationalsozialisten, die ihn lange vom Konzertbetrieb ausgrenzte, ist Günter Raphael (1903-60) nie ganz in Vergessenheit geraten. Neue, maßstabsetzende Aufnahmen suchte man in den vergangenen Jahren allerdings vergebens. Mit der Weltersteinspielung der opulenten 1. Symphonie setzt der Dirigent Fabian Enders einen der vielseitigsten Komponisten des vergangenen Jahrhunderts nun wieder ganz oben auf die Tagesordnung.
Es gibt durchaus eine kleine Raphael-Diskographie, die meisten Tonträger versammeln jedoch Aufnahmen aus den 1950er bis 1970er Jahren. Dass Fabian Enders eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der seltsamerweise noch nie eingespielten 1. Symphonie beginnt, ist vor allem sinnvoll, weil es wohl eines unbelasteten, frischen Zugriffs bedarf, um das Überraschungsmoment wieder zu erschaffen, dass die Zuhörer im Oktober 1926 erfasst haben mag, als das Werk durch das Leipziger Gewandhausorchester unter Wilhelm Furtwängler uraufgeführt wurde.
Die schillernde Partitur ist zweifellos dem Boden der Spätromantik entwachsen, scheint sich aber daran zu begeistern, dass ihre Zeit bereits vorüber ist. Und so entfaltet Günter Raphael immer wieder gewaltige Klanglandschaften, um sie sogleich als Kulissen zu enttarnen und zur Implosion zu bringen. Der nüchterne, bisweilen ruppige Umgangston der Neuen Sachlichkeit weist die schwelgerischen Neigungen einer untergegangenen Epoche in ihre Grenzen. Freilich hat das Gestrige noch so viel Strahlkraft, dass für eine glanzvolle Apotheose, die Enders als „Feier des Zerfalls“ beschreibt, gesorgt ist. Entsprechend bleibt die „Pastorale in Trümmern“, die dem Dirigenten während des zweiten Satzes vorschwebte, trotzdem eine Pastorale.
Die Interpretation des gut einstündigen Werkes erweist sich unter diesen Voraussetzungen als besonders herausfordernd. Gilt es doch stets, stilistische Seiten zu wechseln, ein eigenes Formbewusstsein zu entwickeln, das Pathos zu vermeiden, selbst wenn es sich aufdrängt und den konzeptionellen Gedanken hinter dem Notentext mit demselben abzugleichen. Fabian Enders und das sehr transparent agierende ORF Radio-Symphonieorchester Wien meistern diese Balanceakte mit Einfühlungsvermögen und technischer Perfektion. Eine Referenzaufnahme, die neugierig auf weitere (neu eingespielte) Werke von Günter Raphael macht!
Günter Raphael: Symphonie Nr.1, Prospero