Im Juli 1955 hatte das Kaufhaus „Merkur“, das als „Magnet der Großstadt“ gefeiert wurde, seine Pforten geöffnet (➤ „Paradies mit Rolltreppe“). Im November 1963 bekam es ernsthafte Konkurrenz. Vom Andauern der Wirtschaftswunderjahre überzeugt, eröffnete die Warenhauskette Hertie einen weiteren prachtvollen Konsumtempel in Osnabrück.
Während die Warenhäuser, die sich dem Motto „Alles unter einem Dach“ verschrieben, bei der Kundschaft immer mehr Anklang fanden, wuchs unter den ansässigen Fachgeschäften und Kaufhäusern die Sorge, ob solche „Warenhäuser der Ruin des kleinen Mannes“ (Kaufmann Hitzegrad im Osnabrücker Tageblatt vom 8.7.1955) seien.
Die starke Wirtschaftskraft der 1950er und 1960er Jahre sowie steigende Umsätze im Einzelhandel zeigten jedoch, dass die Konkurrenzsorge vorerst unberechtigt war. Gerade der Wettbewerb belebte die Geschäfte positiv. So machte der weltweite Strukturwandel in der Warenverteilung auch vor den Toren des „Weltstädtchens“ Osnabrück keinen Halt.
Das Warenhaus Hertie wuchs auf dem ehemaligen Gelände der Branntweinbrennerei Gosling empor und bot der Kundschaft wie versprochen ein breites Warenspektrum an. Neben Mode, Haushaltswaren gab es auch eine Lebensmittelabteilung. Mit dem Slogan „Ja probieren kost ja nichts“ wurden die Besucher*innen angelockt, verführt und konnten sich den späteren Weg zu einem Supermarkt ersparen.
Ein Tunnel unter dem Neumarkt
Doch noch einen weiteren Vorteil brachte das Warenhaus für Osnabrück mit sich. Es brachte die Lösung des Neumarkt-Problems ins Rollen, da die große Zahl der Kaufhausbesucher*innen, die über den Platz strömten, zum Problem wurde. Der Neumarkt, bis dahin lediglich als Umsteigestation im Busverkehr genutzt, sollte nun laut dem Oberstadtdirektor Fischer zum „Zentrum der City“ (Osnabrücker Tageblatt vom 15.11.1963) ausgebaut werden. Johannisstraße und Große Straße sollten durch eine unter dem Platz verlaufende Passage zu einer neuen Einkaufsmeile verbunden werden.
Im Frühjahr 1964 konnte das umstrittene Projekt realisiert werden. 2,1 Millionen DM kostete allein der Hauptteil, während die Tunnelverlängerung zum Warenhaus Hertie von dem Inhaber selbst finanziert werden musste.
Es war schon wunderlich, stark umstritten und von vielen Osnabrücker*innen nicht immer bejaht, dass die Fußgänger schon bald in die Tiefe des zukünftigen Tunnels ab- und im Einkaufsparadies Hertie wieder auftauchen sollten, während die zunehmende Masse an Autos ohne Ampel und Zebrastreifen weiter rollen oder sich bei Wunsch bis auf das Dach von Hertie mittels riesiger Aufzüge heben lassen konnte.
Wie sehr die Osnabrücker*innen ihre Hertie-Filiale schätzten, spiegelte sich 1986 in zahlreichen Protesten wider, als das Warenhaus wegen zunehmender Konkurrenz durch Einkaufsmärkte auf der „Grünen Wiese“ geschlossen werden musste. Doch die Proteste waren nutzlos und schließlich bezog hier das Bekleidungskaufhaus Wöhrl bis 2009 sein Quartier. Seither steht der riesige Betonklotz leer und wartet wie das Gebäude, in dem Merkur, Horten und „Galeria Kaufhof“ nacheinander untergebracht waren, geduldig auf eine neue Bestimmung.
Ein weiteres schillerndes Kapitel der Stadtentwicklung ging 2013 unwiederbringlich zu Ende: der Neumarkttunnel. Erst geschlossen, dann verfüllt, bleiben den Osnabrücker*innen nur noch die Erinnerungen an Softeis, Popcorn, Modeaccessoires, glitzernde Böden und den sogenannten „Haschbrunnen“ aus Plexiglasröhren.