Osnabrück – in der plattdeutschen Mundart der Region Ossenbrügge genannt – ist die ‚Ochsenbrücke‘. Das weiß jedes Kind in Osnabrück. Oder stimmt das vielleicht gar nicht?
Der Sage nach soll der Ort ursprünglich von einer in Riemen geschnittenen Ochsenhaut umgeben gewesen sein. So meldet es im Jahr 1518 der Historiker und Theologe Franciscus Irenicus (1495-1553). Ähnliche Erzählungen sind etwa für die antike Festung Byrsa bei Kathargo oder die Anfänge Londons nach der Ragna Lodbroks Saga überliefert. Auch der mythische Angelsachsenführer Hengist soll sich vom britischen König Vortigern in listiger Weise so viel Land erbeten haben, wie der Umfang einer Ochsenhaut betrage. Diese habe er dann in schmale Riemen geschnitten und somit ungleich mehr Fläche umspannen können. Hier baute er nun die Stadt Cancastra, das heutige Lancaster. Wie bei Byrsa (griechisch býrsa ‚Ochsenhaut‘) wird diese Legende aber für Osnabrück aus der niederdeutschen Form des Ortsnamens Ossenbrügge herausgetrieben worden sein. Vermutlich kannte Irenicus sogar die entsprechenden antiken und frühmittelalterlichen Geschichten.
Dass der Ochse, altniederdeutsch ohso, aber nicht im Ortsnamen enthalten sein kann, zeigen dessen älteste Belege: Die Urkunden der angeblichen Ersterwähnungen aus dem Jahr 803 „Osnabrugki“ bzw. 804 „Osnabrukgensi“ sind Fälschungen erst des 11. Jahrhunderts. Die erste original überlieferte Schriftquelle, die den Ortsnamen „Osnabrugga“ enthält, ist der Übertragungsbericht der Gebeine des hl. Alexanders von Rom nach Wildeshausen, der aus der Mitte des 9. Jahrhunderts stammt (850–865).
In „Osnabrugga“ soll ein Mann aus der Landschaft „Tregwiti“ sein vor 20 Jahren durch unrechtes Urteil verlorenes Augenlicht wieder zurückerhalten haben, als er den Sarg mit den Gebeinen des Heiligen berührte. 938 wird das Adjektiv Osnebruggensis, 998 „Asnebrugiensis“, 1025 und 1039 Asnabrug(g)ensi genannt. Die Formen mit anlautendem A passen aber nicht zum Ochsen, der immer O hat. Der Wechsel von O und A weist vielmehr auf den Laut germanisch au, der im Altniederdeutschen sowohl als ô als auch als â auftreten kann (sogenanntes ô²; ^ über einem Vokal meint, dass es sich um einen langen Vokal handelt). Somit ist von einer ursprünglichen Form *Ausnabruggia auszugehen (mit einem * werden nicht belegte, aber begründet erschlossene Formen bezeichnet). Damit ist auch der Anschluss an altniederdeutsch ôs ‚Gottheit‘ oder *ôs ‚Balken‘ (< germanisch ans ‚Balken‘) abzulehnen, den erstmals Jacob Grimm vorgeschlagen hatte.
Den ersten Schritt in die richtige Richtung gingen Karl Christ (1889) und Edward Schröder (1942), die in Osnabrück einen Gewässernamen *Ausa/*Ausina und *Osna vermuteten. Diesen Vorschlag nahm Theodor Baader 1948 auf, der einen Gewässernamen Asna ansetzte. Ein solcher existierte an anderer Stelle, nämlich bei Selm-Bork: iuxta amnem Asna in Burk – ‚bei dem Fluss Asna in Bork‘. Wahrscheinlicher ist wegen des oben genannten Wechsels von O und A der Anschluss an einen Gewässernamen Aus-ona, *Aus-ana, dessen Basis *Aus- auch in der römerzeitlichen Ausaua, heute Oos bei Gerolstein, eine Parallele hat. Die Gewässernamen mit *aus- gehören vermutlich im Bereich der germanischen Sprachfamilie zu germanisch *aus-a- ‚schöpfen, gießen, begießen‘.
Osnabrück meint also die Brücke (altniederdeutsch bruggia, mittelniederdeutsch brügge) über das Gewässer Ausona oder *Ausana. Die Ausona / *Ausana könnte dann ein Fluss gewesen sein, der öfter über die Ufer trat und das Umland überschwemmte oder aber der für rituell-kultische Handlungen genutzt wurde. Die Ausona / *Ausana war ein alter Name der Hase oder eines Abschnitts dieses Gewässers. Von dem Gewässernamen Hase kann der Ortsname nicht abgeleitet werden, obwohl das immer wieder behauptet wurde. Denn der Name der Hase zeigt immer anlautendes H und wird damit zu germanisch *haswa- ‚grau‘, altenglisch hasu ‚graubraun‘ zu stellen sein und somit ‚die Graue, die Braune‘ nach der Färbung des Wassers bedeuten.