Die Architektin und Designerin Anna Castelli-Ferrieri spielt eine zentrale Rolle im italienischen Design der Nachkriegszeit, nicht zuletzt dank ihres wohl berühmtesten und auch heute noch produzierten Möbels „Componibili“ (dt. modular), welches sie Ende der 1960er Jahre für die Mailänder Firma „Kartell“ entworfen hat. Der Name ist dabei Programm: designt als modulares und vielseitig einsetzbares Möbelstück aus buntem Kunststoff, verfügbar in rund oder quadratisch, einteilig oder mehrteilig, auf Rollen – wie das hier abgebildete Exemplar aus dem Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte – oder ohne. „Componibili“ ist daher nutzbar als praktisches Staumöbel in jedem Raum.
Es ist eines der ältesten Produkte „Kartells“ und stellt zu seiner Entstehungszeit eine Innovation dar, sowohl in seinem Design als auch in seiner Materialität und Herstellung. Denn „Componibili“ ist das erste Möbelstück, das im Spritzgussverfahren und unter Verwendung des damals neuartigen ABS-Kunststoffs hergestellt wurde. Das Einrichtungsobjekt entspricht Castelli-Ferrieris eigenem Anspruch an ihre Entwürfe, Funktionalität und Innovation unter Berücksichtigung aller sich stellenden Anforderungen und Problemen rationalistisch in Einklang miteinander zu bringen. Dabei gibt es für sie keinen Unterschied zwischen Design, Stadtplanung oder Architektur.
Anna Castelli-Ferrieri gehörte neben Gae Aulenti (1927-2012), Cini Boeri (1924-2020) und Franca Helg (1920-89) zur ersten Generation von Designerinnen und Architektinnen der Nachkriegszeit in Italien. Da es in Italien bis in die 1970er Jahre keine spezifische Designausbildung gab, waren die meisten italienischen Designerinnen und Designer, die in den 1950er und 1960er Jahren tätig waren, ausgebildete und praktizierende Architektinnen und Architekten – und die beiden Bereiche somit eng miteinander verbunden.
Castelli-Ferrieri wurde 1920 in die fortschrittliche Elite Mailands hineingeboren und war damit weniger an konventionelle kulturelle Traditionen und Geschlechterrollen gebunden als viele ihrer Kolleginnen zu dieser Zeit. Architektur und Design sind historisch gesehen männlich-dominierte Professionen, in denen Frauen immer wieder mit konkreten Formen der Diskriminierung, Anfeindungen und schlechteren Arbeitsverhältnissen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zu kämpfen hatten.
Castelli-Ferrieri studierte bis 1943, damals als eine der wenigen weiblichen Studentinnen, Architektur am Politecnico di Milano. Sie arbeitete viele Jahre mit dem Architekten Ignazio Gardella (1905-99) zusammen und wendete sich erst ab den frühen 1960er Jahren immer mehr dem Möbeldesign zu. Zum Teil lag das wohl auch daran, dass ihr Ehemann Giulio Castelli (1920-2006) mit seiner Firma „Kartell“ ab dieser Zeit Möbel und Wohnaccessoires aus Kunststoff zu produzieren begann. Die Mailänder Firma „Kartell“ wurde 1949 von Castelli, einem Chemieingenieur, gegründet und konzentrierte sich als erstes Unternehmen in Italien auf die Verarbeitung von Kunststoff zu Gebrauchsgegenständen. Die Anfänge lagen in den Bereichen Wissenschaft und Forschung und schließlich auch im Möbeldesign.
Anna Castelli-Ferrieri nahm 1966 zusammen mit dem Architekten und Designer Giotto Stoppino (1926-2011) die Arbeit als Designberaterin für das Unternehmen auf und war von 1967 bis 1987 Art Director in „Kartells“ hauseigenem Designatelier. Sie experimentierte dort mit dem damals neuen Material Kunststoff, aus dem sich ungeahnte Herstellungsmethoden eröffneten. Daraus entwarf sie Wohnaccessoires und Möbel – so wie „Componibili“. Dieser war mit seinen flexiblen Verwendungsmöglichkeiten und seiner Gestaltung der erste Vertreter eines Möbeltyps, der in den 1970er Jahren zum Leitmotiv der Raumgestaltung werden sollte und sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreut.