Dreifache Neugier

„A tribute to curiosity“ nennen Kati Raitinen und Bengt Forsberg eine musikalische Entdeckungsreise besonderer Art. Ihr Programm versammelt Cellosonaten von Emilie Maria von Bach (1896-1978), Henriëtte Bosmans (1895-1952) und Rita Strohl (1865-1941).

Ihren künstlerischen Ambitionen wurden ebenso enge Grenzen gesetzt wie dem Wunsch, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten – und ihre familiäre und gesellschaftliche Rolle war definiert, ohne dass sie jemand gefragt hätte. Trotzdem eroberten sich Komponistinnen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zunehmend Freiräume, in denen sie nicht weniger beeindruckende Werke schufen als ihre männlichen Kollegen.

Die Cellistin Kati Raitinen und den Pianisten Bengt Forsberg, die sich in der „Zeit-Oase“ der Corona-Pandemie in einer Stockholmer Kirche wochenlang mit weitgehend unbekannten Partituren beschäftigten, beschlich immer wieder ein Gefühl der Verwunderung, „dass diese Kompositionen nicht besser bekannt sind.“ Tatsächlich stellen alle drei Sonaten echte Repertoireerweiterungen dar, die Erfindungskraft und Originalität mit der souveränen Beherrschung des musikalischen Handwerks verbinden.

Das außergewöhnlichste Stück ist sicher Rita Strohls 1892 komponierte „Sonate Dramatique“ mit dem Beinamen „Titus et Bérénice“. Verdient schon die Idee, Racines Tragödie kammermusikalisch umzusetzen, das Prädikat bemerkenswert, so gilt das erst echt für den hochromantischen, spannungsgeladenen Dialog, der mit immer neuen Wendungen aufwartet und sich über beachtliche 40 Minuten erstreckt.

Von Emilie Maria von Bach (oder kurz: Maria Bach) war zuletzt häufiger die Rede – vor allem im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung ihres großartigen ➤ „Wolga-Quintetts“ von 1928. Die vier Jahre früher entstandene Cellosonate oszilliert zwischen schwelgerischer Spätromantik, impressionistischen Momentaufnahmen und jazzartigen Turbulenzen.

Auch Henriëtte Bosmans gelang mit ihrer 1919 komponierten Sonate ein absolut hörenswerter Beitrag zur Kammermusik des frühen 20. Jahrhunderts. Die Ecksätze arbeiten scharfe Kontraste und dramatische Entwicklungen heraus, während sich das liedhafte Allegretto und das stimmungsvolle Adagio auf langen Melodiebögen entfalten.

Raitinen und Forsberg spielen die Raritären mit echter Entdeckerfreude und viel Liebe zum Detail. So können sie sich neben der eigenen Wissbegierde und der „ihrer“ Komponistinnen auch der dritten Neugier sicher sein, die im informativen Booklet Erwähnung findet: der gespannten Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer.

Emilie Maria von Bach: Sonate für Cello & Klavier / Henriëtte Bosmans: Sonate für Cello & Klavier / Rita Strohl: Sonate Dramatique für Cello & Klavier, arcantus