Fotoporträts und ihre Fotografinnen

Heutzutage sind schnell und einfach herzustellende Fotoporträts aus unserer Bildkultur und unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Selbstinszenierung in Form von fotografischen Porträts hat dabei eine lange Tradition. Obwohl das Medium Fotografie erst um 1839 aufkommt, avanciert es recht schnell zum ersten Massenmedium der Selbstdarstellung.

Insbesondere das aufsteigende Bürgertum nutzt im 19. Jahrhundert die Fotografie, um den Wunsch nach eigenen Bildnissen nachzukommen. War es doch vor der Erfindung der Fotografie lange Zeit den privilegierten Gesellschaftsschichten vorbehalten ein Porträt von sich anfertigen zu lassen, die sich einen Maler oder eine Malerin leisten konnten. Sich porträtieren lassen wird zu einem bürgerlichen Ritual und Alltagsphänomen dieser Zeit.

Zur Verbreitung der Porträtfotografie trägt maßgeblich der Franzose Adolphe-Eugène Disdéri (1891-89) bei, der 1854 ein kleinformatiges Abzugverfahren patentiert. Dadurch wird die Herstellung von mehreren kleinen normierten Abzügen möglich und die Kosten können reduziert werden. Die sogenannten „Carte de Visite“-Porträts, Fotografien auf Karton montiert und mit einer Größe von 6×9 cm, führen zu einem wahren Boom des Mediums. Ab 1866 wird das Format der „Carte de Visite“ weitgehend durch das ebenfalls normierte, aber größere Bildformat der „Kabinettkarte“ abgelöst, welches aus England stammt. Mit einer Größe von etwa 16,5×11,5 cm sind die Motive darauf besser zu sehen als bei ihrem Vorgänger. Das neue Format wird vor allem für Porträts, aber auch für Landschafts-, Architektur- und Sachaufnahmen genutzt. Die steigende Popularität des Mediums sorgt für einen Zuwachs an professionellen Fotograf:innen und zur Gründungswelle von Fotoateliers im 19. Jahrhundert. Diese avancieren in den Städten zu beliebten Gesellschaftstreffpunkten und sind in der Nähe des pulsierenden Lebens ansässig.

Das Münchener Atelier Elvira, von dem die Kabinettkarte mit dem Porträt einer sitzenden elegant gekleideten Frau und ihrem Hund stammt, wird 1887 von Anita Augspurg (1857-1943) und Sophia Goudstikker (1865-1924) gegründet. Das Motiv von Haustier und Besitzer:in ist – bis heute – weit verbreitet. Haustiere ziehen im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung in breite Gesellschaftsschichten ein, zeitgleich steigt die Bedeutung der Familie, in der eine „neue Form der emotionalen Beziehung zwischen Tier und Mensch gelebt wird, wovon historische Familienportraits künden, die Adelige, Bürger und ihre tierischen Gefährten zeigen.“ (s. Literaturhinweise: Reichholf/Schalansky, S.6)

Die Fotografie lässt sich anhand ihrer Rückseite auf eine Entstehungszeit um 1900 datieren. Aufschluss darüber gibt die dort abgedruckte Erwähnung, dass die Fotografin Goudstikker Königlich Bayerische Hofphotographin ist – übrigens die erste im Königreich Bayern. Diesen Titel erhält sie 1898 ebenso wie die bayerische Goldmedaille für Wissenschaft und Kunst, die ebenfalls auf der Kartenrückseite abgebildet ist.

Goudstikker und ihre Geschäfts- und zeitweise auch Lebenspartnerin Augspurg lernen sich 1886 in Dresden kennen. Die jüngere Sophia lässt sich dort im privaten Lehrinstitut von Anitas Schwester, der Grafikerin und Malerin Amalia Augspurg (1844-99), zur Malerin ausbilden. Als Frau wird ihr zu diesem Zeitpunkt der Zugang zu den staatlichen Akademien noch verwehrt – dies ändert sich in Deutschland erst im Jahr 1919. Die beiden Frauen ziehen noch im selben Jahr zusammen nach München, das zu dieser Zeit als Stadt der Moderne in Literatur, Kunst und Kultur und als geistig freie Stadt gilt. Sie lassen sich dort vermutlich im Atelier des bekannten Hoffotografen Joseph Albert, welches von seiner Witwe Pauline Albert nach dessen Tod weitergeführt wird, privat zu Fotografinnen ausbilden. (s. Literaturhinweise: Tamara Block)

Im fotografischen Gewerbe gibt es zu dieser Zeit – zumindest offiziell – keine Restriktionen für Frauen und der Beruf ist dank des Aufschwungs der Fotografie relativ schnell erlernbar. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts dringen immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt ein, da sich die wirtschaftliche Situation von Mädchen und unverheirateten Frauen der bürgerlichen Gesellschaftsschicht verschlechtert hatte. (s. Literaturhinweise: Herz/Bruns, S.153-170)

Goudstikker und Augspurg sichern sich mit der Ateliergründung nicht nur ihre Existenz, sondern schaffen es damit große Bekanntheit zu erlangen. Neben ihrer Tätigkeit als Atelierbesitzerinnen engagieren sich die beiden stark für die Frauenbewegung. Anita Augspurg studiert ab 1893 Rechtwissenschaften in Zürich und setzt sich für das Frauenstimmrecht und die internationale Frauen- und Friedensbewegung ein. Goudstikker gründet 1898 die Rechtsschutzstelle für Frauen in München und ist ab 1908 die erste vor Gericht zugelassene Verteidigerin von Frauen und Jugendlichen in Deutschland. Die beiden verschleiern weder ihre gleichgeschlechtliche Partnerschaft noch, dass sie die tradierten bürgerlichen Frauenrollen ablehnen.

Werben sie zu Beginn noch damit, dass Kinderaufnahmen eine Spezialität ihres Ateliers ist und visieren damit insbesondere Mütter als Kunden an, floriert ihr Atelier schnell – auch dank der gesellschaftlichen Verbindungen der beiden Frauen zum Münchener Kulturmilieu. Sie eröffnen 1891 noch eine weitere Filiale in Augsburg, die von Sophias jüngerer Schwester Mathilde Godustikker (1874-1934) geführt wird. Neben Porträts für den privaten Gebrauch fertigen die beiden auch welche von prominenten Personen, wie Schauspieler:innen, Künstler:innen und auch von Mitgliedern der bayerischen Königsfamilie an. Diese Fotografieren fungieren als werbewirksame Aushängeschilder, genauso wie Goudstikkers Titel als Hofphotographin ab 1898. 1907 übernimmt Goudstikker die Anteile von Augspurg am gemeinsamen Atelier, die beiden sind zu diesem Zeitpunkt schon länger getrennt. Ein Jahr später übergibt sie es an ihre Nachfolgerin, um sich ganz auf ihre Tätigkeit in der Rechtsschutzstelle konzentrieren zu können.

Mehr Infos zu Kabinettkarten, Porträtfotografie und der Sammlung Harald Mante gibt es unter Out of the Box ⎯ Atelierfotografien aus der Sammlung Harald Mante des Dortmunder Museums für Kunst- und Kulturgeschichte ➤ LINK .