Woher kommt der Ortsname Lübbecke im ostwestfälischen Kreis Minden-Lübbecke? Ausgehend von seiner heutigen Gestalt könnte man annehmen, er sei vergleichbar mit dem Namen der Stadt Lübeck, dem Vorort der mittelalterlichen Hanse im heutigen Schleswig-Holstein. Doch ist diese lautliche Ähnlichkeit erst eine spätere Erscheinung. Die historischen Belege, auf die man bei der Untersuchung eines Ortsnamens stets achten muss, zeigen deutlich den Unterschied.
Der Name des holsteinischen Lübecks erscheint erstmals um 1080 als „civitas Liubice“. 1138 wurde die Siedlung zerstört, 1143 durch Graf Adolf II. von Schauenburg und Holstein sechs Kilometer südlich auf einem Hügel zwischen Trave und Wakenitz neu gegründet. Nach einem Brand baute Heinrich der Löwe 1158/59 den Ort großzügig an gleicher Stelle wieder auf, der seitdem maßgeblichen Einfluss auf den gesamten Ostseehandel gewann.
Die älteste Form des Namens und die Lage Lübecks im slawischen Siedlungsgebiet des Mittelalters lassen einen Anschluss an L’ubici vermuten, was so viel wie ‚Leute des L’ub‘ bedeutet. L’ub war der Herr der Ansiedlung, das Oberhaupt der Siedler. Als dann das Niederdeutsche im Zuge der deutschen Ostsiedlung, deren Träger vorwiegend Menschen aus dem heutigen Nordwestdeutschland waren, maßgebliche Sprache in der Region wurde, deutete man den Bestandteil -bice wegen der Ähnlichkeit als niederdeutsch -beke, bike ‚Bach‘ um. So erscheint dann im 12. Jahrhundert die Form „Lubeke“, aus der sich schließlich das heutige Lübeck entwickelte.
Hlidbeki > Lübbecke
Im ostwestfälischen Namen Lübbecke liegt hingegen wirklich eine Bildung mit dem Grundwort altniederdeutsch beki ‚Bach‘ (nur in alten Ortsnamenformen belegt), mittelniederdeutsch beke, bike ‚Bach‘ vor. Der Ortsname wird für die Region bereits sehr früh erwähnt, wenn man bedenkt, dass Schriftquellen für das Gebiet nördlich der Mittelgebirge erst seit etwa 800 n. Chr. existieren. Denn vor der Eingliederung Sachsens in das Fränkische Großreich unter Karl dem Großen mit den sogenannten Sachsenkriegen gab es hier noch keine Schreibkultur. Doch genau in dieser Zeit wird Lübbecke in der zeitgenössischen, aber ein paar Jahre später zu datierenden Geschichtsschreibung zum Jahr 775 als „Hlidbeki“ genannt. So schreibt der Verfasser der „Einhardsannalen“ (Entstehungszeit 814-17) in der lokalen Lautform, während der Schreiber der „Fränkischen Reichsannalen“ (Entstehungszeit: zwischen 787 und 793) hochdeutsch übersetzt: „Lidbach“. An diesem Ort schlug ein Teil des Heeres Karls des Großen ein Lager auf und wurde von feindlichen einheimischen Truppen angegriffen.
Wie die hochdeutsche Form des Ortsnamens noch heute schön zeigt, hat der Ort Lübbecke seinen Namen also von dem Gewässer übernommen, an dem er lag. Das ist ein häufiger Vorgang, wie die zahlreichen deutschen Ortsnamen auf -beck oder -bach zeigen. Dass 775 bereits ein Ort gemeint war und nicht der Bachlauf, zeigt die nähere Kennzeichnung: „in loco, qui dicitur Lidbach“ bzw. „in eo loco qui Hlidbeki vocatur“ (in/an dem Ort, der Lidbach/Hlidbeki genannt wird). Ebenfalls besteht kein Zweifel daran, dass es sich um das heutige Lübbecke handelt. Denn im Kontext wird die geographische Lage als in der Nähe der Weser („ad Wisuram“) bezeichnet, die gut 20 Kilometer östlich fließt.
Erstglied des Namens ist altniederdeutsch *(h)lid ‚Bergabhang‘. Das Wort ist zufällig nicht belegt, aber es kann sicher erschlossen werden aus dem sprachlich eng verwandten altenglischen hlid ‚Bergabhang‘. Es weist also auf das hügelige Relief der Landschaft bei Lübbecke zurück. Der namengebende Bach, der ursprünglich also so viel wie ‚Abhangsbach‘ hieß, ist sicherlich die heutige Ronceva (auch Roncevabach), linker Nebenbach zur Flöthe, weiter zur Großen Aue, deren Quelle 230 Meter über NN im Wiehengebirge zwischen den Bergen Heidbrink und Horst Höhe am unteren Ende der Mensinger Schlucht entspringt. Name und topographische Lage entsprechen sich somit.
Dass der fünf Kilometer lange Bachlauf im Mittelalter durchaus bedeutend gewesen sein muss, belegt die Tatsache, dass nach ihm die umgebende Landschaft benannt wurde: 975 „Lidbekegouue“, also das ‚Land an der Lidbeke‘, zu altniederdeutsch gô ‚Land, Gebiet‘. Der Bach war somit das prägende Element des Landstrichs.