Schreiben in der Gruppe

Das Schreiben von Geschichten stellen sich viele Menschen als eine sehr einsame Arbeit vor, wie sie vielleicht Spitzwegs „Armer Poet“ verrichtet. Auch wenn es sicher richtig ist, dass wenige Autoren ausschließlich vom Schreiben leben, ist Schreiben kein ganz so einsamer Prozess. Sicher, die Phase am Computer, der Schreibmaschine oder vor dem weißen Blatt Papier, der Moment, in dem die Worte geformt und die Sätze formuliert werden, findet meistens allein statt.

Aber Schreiben ist ja mehr als nur das Formulieren von Worten: Sei es die Recherche vorab oder das Diskutieren von Ideen, das Besuchen von Schauplätzen. Viele Autoren würden auch von sich weisen, dass sie beim Schreiben allein sind, sie sind ja umgeben von ihrem Figurenpersonal. Weitere soziale Momente im Schreiben sind Lesungen oder der Austausch mit einem Lektor. Mal ganz davon abgesehen, dass es auch Autorenduos gibt, die ihre Geschichten gemeinsam entwickeln und schreiben.

Es gibt aber noch eine ganz andere Form: Das Schreiben in der Gruppe. Das kann eine Schreibgruppe sein, die sich regelmäßig trifft oder eine Schreibwerkstatt, die nur über einen bestimmten Zeitraum stattfindet. Hier gibt es oft eine Anleiterin oder einen Anleiter, der Übungen zum Schreibprozess vorbereitet hat und die Teilnehmenden durch bestimmte Aspekte, inhaltlich oder handwerklich führt.

Ein Beispiel aus der Praxis

Nehmen wir als Beispiel eine von scribitur durchgeführte (➤ Schreibwerkstatt zum Thema „Bäume“). Zu Beginn gibt es ausgewählte Übungen, die die Teilnehmenden in das Thema einführen. Ideen und Formulierungen für das Schreiben kommen ja nicht nur aus unserem analytischen Gehirn, das die Welt erst zerlegt und dann wieder neu zusammensetzt, sondern auch aus unseren Erfahrungen und Empfindungen in der Welt.

Teilnehmende lernen Bäume also zuerst auf eine ganz andere Weise kennen – so wie sie diese vielleicht noch nie gesehen haben. Denn auch das ist ja ein entscheidender Moment von Literatur: bekannte Dinge und Vorgänge ganz neu zu beschreiben. Die Erfahrungen aus den Übungen werden in der Gruppe besprochen, sodass alle Teilnehmenden direkt von den Erfahrungen der andern lernen können.

Wenn alle in das Thema Bäume eingetaucht sind, stehen eine Reihe von Übungen und Methoden zur Verfügung, welche die Hauptaspekte von Kurzgeschichten erfahrbar machen: Plot, Figuren, Dramaturgie – eben die handwerklichen Aspekte des Schreibens.

Zehn Gehirne – oder eins

Die Teilnehmenden entwickeln nun erste Story-Ideen, die dann durch die Gehirne aller anderen wandern: Zehn Gehirne haben in der Regel mehr Ideen als ein einzelnes. Wo das eine Gehirn vielleicht steckenbleibt, sieht ein zweites Gehirn einen ganz neuen Weg. Um eines auch ganz klar zu machen: Niemand muss befürchten, dass hier Ideen geklaut werden, sie werden gemeinsam vervielfältigt, geprüft, weiterbewegt – und zwar so lange, bis alle ihre ganz eigene Story-Idee entwickelt haben, aus der dann eine Geschichte erwächst.

Und hier wird es nach der gemeinsamen Phase des Ideenwälzens wieder etwas einsamer, wenn jede und jeder die eigene Idee zur Story entwickelt. Aber auch nur so lange, bis die Story-Entwürfe in der Runde getestet werden. Die Mitschreibenden werden zu potentiellen Lesern der Geschichten. Und wenn acht von zehn Zuhörern an einer bestimmten Stelle steckenbleiben, ist es bestimmt eine gute Idee, an dieser Stelle noch einmal nachzuschärfen.

Deshalb freut es uns auch immer, wenn Teilnehmende hinterher sagen: „Ich hätte mir gar nicht vorstellen können, wie viel Spaß es macht, gemeinsam Ideen zu bewegen. Wahnsinn, wohin sich mein Einfall durch die Gruppe entwickelt hat. Da wäre ich alleine gar nicht drauf gekommen …“