Eine der längsten Beziehungen in unserem Leben haben wir mit unseren Geschwistern – ob wir wollen oder nicht. Dass diese nicht immer harmonisch verläuft und auf inniger Geschwisterliebe beruht, zeigen unter anderem berühmte Geschwisterpaare wie Kain und Abel oder Romulus und Remus. Daneben zeugen selbstverständlich viele Beispiele von positiv dargestellten Geschwisterbeziehungen, man denke aus popkultureller Sicht nur an die beiden Schwestern Anna und Elsa aus dem Hause Disney.
In der Kunstgeschichte sind Geschwisterdarstellungen bisher kaum ein Thema gewesen, obwohl es davon zahlreiche gibt und das schon seit vielen hundert Jahren. Die Kunsthalle Tübingen hat dies mit ihrer Ausstellung „Sisters & Brothers. 500 Jahre Geschwister in der Kunst“ im Jahr 2022 umfassend gezeigt. Die Darstellung von Schwestern und Brüdern ist dabei immer geprägt von den gesellschaftlichen Auffassungen von Familie und den unterschiedlichen Vorstellungen von Geschwisterlichkeit in den jeweiligen Epochen.
So zeigt das biedermeierliche Doppelporträt „Die zwei Schwestern“ von einem deutschen Meister aus der Zeit um 1820/30, zwei uns unbekannte junge Frauen vor einem Hintergrund mit blauem Himmel, Wolken und Bäumen. Vermutlich handelt es sich bei den beiden Dargestellten um Zwillingsschwestern. Die beiden stehen sehr nah beieinander und sind durch die beziehungsstiftende Geste des Händehaltens miteinander verbunden, wodurch Vertrautheit und Einheit vermittelt wird. Gerade die Darstellungen von Zwillingen sind prädestiniert dafür, eine einheitliche und harmonische Gemeinschaft zu verkörpern.
Die beiden Frauen schauen dabei den Betrachtenden an. Individualisierende Attribute oder Unterschiede im Habitus sucht man hier vergebens. Die beiden Frauen tragen Kleider, die sich auf den ersten Blick nur durch ihre Farbe unterscheiden und haben entsprechend der zeitgenössischen Mode ihre Haare gleich frisiert. Die Interaktion der Beiden ist auf ihre Verbundenheit und schwesterliche Einheit reduziert. Neben dem Ideal der Anmut und Schönheit des Biedermeiers steht die ideale Darstellung von Freundschaft und Geschwisterliebe deutlich im Vordergrund dieses Gemäldes, sowohl motivisch als auch formal.
Schwesterliche Doppelporträts sind seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eng mit dem aufkommenden Freundschaftskult der Zeit verknüpft. Die Verbürgerlichung der Gesellschaft, die sich im 18. Jahrhundert durchsetzt und einen tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandelt mit sich bringt, sorgt unter anderem dafür, dass neben Großfamilien als Produktionsgemeinschaft nun auch die Kleinfamilie als „Keimzelle des Staates“ auftritt. Die Familie wird als Hort von Emotionalität verklärt und Gefühle ins Private und damit in die Familie und in die Freundschaft verlagert. Dies sorgt für eine sentimentale Aufladung der Bindungen innerhalb der Familie: zwischen Eltern und Kindern, aber eben auch zwischen Geschwistern.
Gleichzeitig gewinnen freundschaftliche Beziehungen eine neue Bedeutung und der daraus resultierende Freundschaftskult nimmt auch Einfluss auf die Darstellung von Schwestern. Diese werden nun wie Freundinnen in inniger Verbundenheit dargestellt und die Geschwisterbeziehung verklärt, denn Konflikte sind zu dieser Zeit nicht bildwürdig. Ebenso wenig findet man in der Darstellung einen emanzipatorischen Impetus. Vielmehr sind geschwisterliche Liebe und Freundschaft zu dieser Zeit Zeichen für einen sittlichen und tugendhaften Menschen. So entstehen ab dem 18. Jahrhundert zahlreiche Freundschaftsbildnisse, die enge Verbundenheit und liebevolle Zuneigung darstellen und die Gattung erlebt im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt. In dieser Tradition steht auch das Gemälde der zwei Schwestern aus der Sammlung des Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte, welches das gängige Muster geschwisterlicher und freundschaftlicher Eintracht zeigt.