Ein stattliches Fachwerkbauernhaus nannte man früher im Tecklenburger und Osnabrücker Land in der plattdeutschen Mundart der Region: Up hauge Weige oder Weegen. Doch was meint dieser Begriff eigentlich und woher kommt er?
Der Schlüssel zum Verständnis dieses dialektalen Ausspruchs liegt im sogenannten Niederdeutschen Hallenhaus, der in Nordwestdeutschland in der Vergangenheit üblichsten Form des Bauernhauses. Es zeichnete sich dadurch aus, dass es eine zentrale und mit einem Erntewagen befahrbare Längsdiele (Tenne) besaß, an deren Seiten sich die Stallungen für das Vieh und an der Querseite der Wohnteil unter einem Dach befand. Das Getreide wurde auf dem großen Dachboden deponiert.
Das Hallenhaus vereinte also Wohnung, Stall und Erntelager. Alles war unter „Dach und Fach“ – eine ebenfalls noch heute gebräuchliche Redensart, die von der Nutzung von Wohnstallhäusern herrührt. Auch das hier betrachtete Idiom hat mit der Bauart des nordwestdeutschen Bauernhauses zu tun. Hallenhäuser sind seit dem späten Mittelalter nachweisbar. Sie unterscheiden sich zu den vorausgehenden Hausformen dadurch, dass sie als Ständerbauten ausgeführt wurden. Dadurch, dass die Konstruktion im Gegensatz zu Bauten mit in die Erde eingelassenen Pfosten auf Ständern mit steinernen Fundamentsteinen beruhte, waren die Gebäude weitaus belastbarer, hielten deshalb wesentlich länger und konnten außerdem mit einem tragfähigen Dachboden zur Lagerung des Getreides versehen werden.
Wegen seiner Haltbarkeit war dieser Bautyp vom Spätmittelalter bis in das 19. Jahrhundert hinein produktiv und hat sich in zahlreichen Exemplaren bis heute erhalten. Allerdings bedeutet diese erfolgreiche Konstruktionstechnik nicht, dass sie sich nicht verändert hätte. Die ältere Form des Niederdeutschen Hallenhauses ist das „Zweiständerhaus“, bei dem zwei parallele Ständerreihen das Dach tragen – mit seitlichen Kübbungen, also Stallabseiten. Später entwickelten sich das Dreiständerhaus mit drei parallelen Ständerreihen und einer Abseite sowie das Vierständerhaus mit vier Ständerreihen und keinen Abseiten.
Bei letztem weisen die Seitenwände die gleiche Höhe auf wie die Ständer, die den Dielenraum begrenzen. Diese Hausform wurde als up hauge Weige/Weegen bezeichnet, denn Weige ist ein altes Wort für die ‚Wand‘. Up hauge Weige/Weegen bedeutet also ‚auf hoher Wand‘ bzw. ‚auf hohen Wänden‘. Die höheren Seitenwände als beim Zweiständerbau waren also der auschlaggebende Unterschied.
Wand und winden
Das Wort, das sowohl in den west-, nord- als auch ostgermanischen Sprachen verbreitet war, hat ein hohes Alter. Es begegnet bereits in der gotischen Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila († 383 n. Chr.), der einzigen Quelle für das ostgermanische Gotische: baurgs-waddjus ‚Stadtmauer‘, grundu-waddjus ‚Grundmauer‘, mithgardi-waddjus ‚Scheidewand‘. Im westgermanischen Altniederdeutschen entspricht wêg ‚Hauswand‘, das bereits im „Heliand“ erscheint, einer altniederdeutschen Evangelienharmonie aus der Zeit um 850. Auch in anderen westgermanischen Sprachen kommt es vor: angelsächsisch wâg, wæg, wâh ‚Hauswand‘, altfriesisch wâch, wâg ‚Wand‘, mittelniederländisch weech, weegh, mittelniederdeutsch wêch ‚Wand‘.
Das „Idioticon Osnabrugense“, ein 1756 vom Osnabrücker Gymnasialrektor Johann Christoph Strodtmann (1717–1756) verfasstes Wörterbuch der Osnabrücker Mundart, führt zum Stichwort weeg aus: „heisset in einem Gebäude alles Holzwerk in den Wänden. Davon kommt dürweeg, welches das Holzwerk in einer Querwand bedeutet, auch Thür-Gestelle“. Noch heute erscheint das Wort in den nordgermanischen Sprachen: Aus altnordisch veggr entstand dänisch væg oder schwedisch vägg ‚Wand‘. Etymologisch ist der Ausdruck über germanisch *waiga– zu einer indogermanischen Wurzel zu stellen, die ‚biegen, winden‘ bedeutet haben dürfte.
Damit hat der hier betrachtete Begriff eine vergleichbare Entwicklung genommen, wie das Wort Wand selbst, das zum Tätigkeitswort winden gehört (vgl. die Präteritumformen: ich, er/sie/es wand; du wandest; wir, sie wanden; ihr wandet), also ebenfalls das ‚Gewundene‘ bedeutet. Ausgangspunkt ist somit die Flechtwand, die in den Wänden des Fachwerkhauses bis in die Moderne vertreten ist. Die Gefachungen, das heißt die Wandfelder zwischen den Holzbalken, wurden mit einem mit Lehm bestrichenen Flechtwerk ausgefacht. Dazu wurden dünne Zweige um kleine Pfähle geflochten, auf die man anschließend eine Lehmmasse auftrug. Von dieser Flechtwand ausgehend konnte sich die Bedeutung des Wortes dann auch auf massive Wände aus Natur-, Bruch-, Lehm- oder Ziegelsteinen erweitern. Anders als Wand ist das Wort Weige/Weege aber heute – mit Ausnahme im Dänischen und Schwedischen – kaum noch lebendig.