Braune Relikte 24: Velhagen & Klasings Großer Volksatlas.
In totalitären Staaten ist politische Opposition meist nur noch im Verborgenen möglich. Auch nach der „Machtergreifung“ spielte sich die politische Arbeit der Gegner des NS-Regimes im Untergrund ab. Nach Ausweis der Osnabrücker „Gestapo-Kartei“ war der Widerstandstreff „Eekenpacht“ der Geheimpolizei bereits im Sommer 1933 als Treff „kommunistischer Versammlungen“ bekannt, ohne dass den Beteiligten je bekannt wurde, dass sie überwacht wurden. Eine Razzia blieb aus.
Wer nach der Machtübertragung zur politischen Gegnerschaft der National-sozialist*innen gehörte und politisch aktiv bleiben wollte, sah sich gezwungen, verdeckt zu agieren. Um der Repression des NS-Regimes zu entgehen, mussten entsprechende Strukturen geschaffen werden. In Osnabrück gehörte dazu die „Eekenpacht“ – ein Kotten in Holperdorf bei Lienen. Das Fachwerkhaus am Ende des Holperdorper Tals Richtung Hagen-Gellenbeck bzw. Sudenfeld diente seit 1933 als Treff eines Zirkels von SPD-/SAP- und KPD-Angehörigen sowie Gewerkschaftern aus Osnabrück und Münster. Bei den Zusammenkünften zählte das Gemeinschaftsgefühl. Eine kleine Bibliothek hielt Werke verbotener Autoren wie Heine, Marx, Engels, Tucholsky oder Remarque bereit. Während gemeinsamer Treffen und Feiern wurde über die politische Situation diskutiert. Aktiver Widerstand blieb weitgehend aus. Das Verteilen von Flugblättern wurde wohl besprochen und auch versucht. Sabotageakte lehnte die Gruppe aber ab. Stattdessen wollte sie überleben, um „nach Hitler“ gemeinsam am Aufbau eines antifaschistischen, demokratischen neuen Staates mitzuwirken. Nach Beginn des Krieges 1939 diente der Kotten bei drohender Verfolgung als Versteck.
Zum „Kottenkreis“ gehörte – neben dem Grafiker Heinrich Frerker, dem Gewerkschafter Franz Gnegel (Münster), Friedel Hettling, dem Gewerkschafter Karl Knie und seiner Ehefrau Susanne (Münster), dem Buchhändler Erich Knüppe (Dielinger Straße) und seiner Ehefrau Änne, dem Stahlformer Franz Lenz (Stahlwerk Klöckner) samt Ehefrau Auguste und Sohn Werner (tauchte im Spätsommer 1944 als Jugendlicher nach seiner Desertion vom RAD in der Eckenpacht unter) und dem Bäcker Hans Lücke mit seiner Ehefrau Anna (als Soldat zu den Amerikanern übergelaufen und nach dem Krieg Geschäftsführer der SPD und Betriebsrat; 1957–1969 MdB) – auch Goswin Stöppelmann (Osnabrück 1902–1961 Bad Essen) mit Ehefrau Anni und seinen zwei Töchtern.
Stöppelmann entstammte der sozialistischen Arbeiterjugend und war zeitweilig in einem KZ inhaftiert. Nachdem sich abzeichnete, dass der am 22. Juni 1941 begonnene Überfall auf die Sowjetunion bald stecken blieb, verfolgte er in seinem Atlas die weitere militärische Entwicklung und den Vormarsch der „Roten Armee“. Da die Angaben der NS-Propaganda nicht glaubwürdig waren, besorgte sich Stöppelmann die nötigen Informationen durch das verbotene Abhören von „Feindsendern“. Er überlebte den Krieg und gehörte anschließend zu den Mitbegründern des VVN. Als Regierungsdezernent war er nach 1945 in Osnabrück für die Entnazifizierung von Polizeibeamten und für Wiedergutmachungsangelegenheiten zuständig. Er betreute KZ-Überlebende, für die in der Villa Rickmers in Bad Essen ein Heim eingerichtet war.
Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, dass die „Eekenpacht“-Gruppe von Beginn an durch die Gestapo überwacht worden war. In ihrer Kartei heißt es am 12. Juli 1933 über Stöppelmann: Er „soll einen Funktionärsposten in der SAP. bekleidet haben. St[öppelmann] ist angebl. Mitpächter des Kottens ‚Eckenpacht‘ in Holperdorf b[ei] Lienen, in dem kommunist[ische] Versammlungen stattfinden sollen.“ Es ist unklar, wieso es bis zum Ende der Nazi-Diktatur trotz der Kenntnisse der Gestapo nie zu einer Razzia oder Verhaftungsaktion kam.
Die „Eekenpacht“ war im September 2021 auch Gegenstand eines Artikels von Heiko Schulze. Sein Beitrag ➤ „Die „Eekenpacht“: Oase des Widerstands gegen den Nationalsozialismus ist weiterhin auf diesen Seiten nachzulesen.
Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.