Im Idealfall sorgt der Literaturnobelpreis mindestens kurzfristig für höhere Auflagen – ein Garant für Unsterblichkeit ist er nicht. Das war schon 1901 so, als Sully Prudhomme die erste aller Auszeichnungen erhielt. Heute interessieren sich nur noch Liebhaber für die Werke des französischen Schriftstellers. Zu ihnen zählen zwei junge Musikerinnen, die Prudhomme nun zu einem ungewöhnlichen Comeback verhelfen.
Möglich wurde ihre Rettungsaktion durch den bemerkenswerten Umstand, dass Prudhommes eminent stilvolle, aber mitunter durchaus sperrige Texte zahlreiche Komponisten zu Vertonungen inspirierten. Dabei war er durchaus kein freiwilliger Liedtexter, die musikalische Ausdeutung seiner Verse, die auch einem naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisdrang gehorchten, scheint ihn nicht einmal besonders interessiert zu haben.
Gabriel Fauré, César Franck, Charles-Marie Widor und viele andere Protagonisten der französischen Musikszene hielt das allerdings nicht davon ab, sich intensiv mit seinen Texten zu beschäftigen. Einige Gedichte – etwa das vergleichsweise bekannte „Le vase brisé“ oder das atemlose „Le galop“ – wurden sogar mehrfach vertont.
Marie-Pierre Roy interpretiert die Prudhomme-Lieder mit viel Empathie und Begeisterung. In Justine Eckhaut hat die Sopranistin eine ebenso aufmerksame wie stets vorausschauende Begleiterin. Die Pianistin erschafft am Fazioli-Flügel facettenreiche Stimmungsbilder und verbindet sie mit den Gesangslinien zu einer anmutigen Klanglandschaft, die durch scharfe Kontraste Profil gewinnt.
Fünf Lieder stammen von dem 1980 geborenen Komponisten Matthieu Roy. Der Bruder der Sängerin wirft einen belebenden zeitgenössischen Blick auf Prudhommes Gedichte. Diesem Ziel gehorchen auch die im Booklet platzierten Bilder des italienischen Designers Alessandro Gianvenutti.
Im Kreis der Prudhomme-Vertoner verdient Théodore Dubois besondere Erwähnung. Der einstige Direktor des Conservatoire de Paris, der jahrzehntelang als blasser Akademiker verspottet wurde, ist gleich mit sechs Liedern auf der CD vertreten. Sie zeugen von Eleganz und Leichtigkeit und einem melodischen Erfindungsreichtum, der die Zeiten tatsächlich überdauern könnte.
Das geht natürlich nur, wenn Dubois´ Werke häufiger gespielt und aufgenommen werden. 2021 waren immerhin Ansätze erkennbar (➤ Akademisches mit Esprit), sein 100. Todestag am 11. Juni 2024 könnte Anlass sein, noch viel mehr zu entdecken.
Le long du quai. Mélodies on poems by Sully Prudhomme, Prospero Classical