Die niederländische Komponistin Henriëtte Bosmans (1895-1952) hat nur ein schmales Oeuvre hinterlassen. Trotzdem dauerte es Jahrzehnte, um zwei ihrer bedeutendsten Werke auf Tonträger zu bannen. Die Weltersteinspielung der beiden Cellokonzerte wartet nun allerdings mit herausragenden Interpreten auf. Den Solopart spielt Raphael Wallfisch, das BBC Scottish Symphonie Orchestra leitet Ed Spanjaard.
Schon in den ersten zupackenden Takten wird klar, dass die erstklassige Besetzung hier ein neues Repertoirestück erobert. Das 1. Cellokonzert, das 1923 von Marix Loevensohn uraufgeführt wurde, bringt alles mit, was ein großes, spätromantisches Werk dieser Art braucht: eingängige Melodien, einen ebenso farbigen wie abwechslungsreichen Orchestersatz und einen gewaltigen Spannungsbogen, der die Aufmerksamkeit des Publikums über immerhin 38 Minuten trägt.
Bis zur ersten öffentlichen Darbietung des zweiten Konzertes, das Bosmans ihrer Lebensgefährtin Frieda Belifante widmete, verging nur ein Jahr. Doch diesmal schlug die Komponistin ganz neue Töne an. Der Orchesterpart erschien gestraffter und markanter, der Ausdrucksspielraum des Cellos noch einmal deutlich erweitert. Rund 100 Jahre später fügt nun Raphael Wallfisch das hauchzart Verschwindende, luftig Tänzerische und wütend Aufbegehrende wunderbar zusammen und findet in Ed Spanjaard und dem agilen BBC Scottish Symphonie Orchestra ebenso sensible wie klar strukturierende Partner.
Obwohl Henriëtte Bosmans eine durchaus erfolgreiche Pianistin war und ihr Geld vornehmlich mit dem Erteilen von Klavierunterricht verdiente, gehörte ihre Leidenschaft hörbar einem anderen Instrument. Diese These belegt auch die Cellosonate aus dem Jahr 1919, die wir ➤ 2022 und ➤ 2024 hier bereits in unterschiedlichen Aufnahmen vorgestellt haben. Die aktuelle CD ergänzt diesen zentralen Werkaspekt noch um die Einspielung des Marix Loevensohn gewidmeten „Poème“ für Violoncello und Orchester (1927). Das Bravourstück, das einer iberischen Phantasielandschaft (unter anderem mit dem von Bosmans ebenfalls heißgeliebten Tamburin) huldigt, war zu Lebzeiten der Komponistin das offenbar erfolgreichste, am häufigsten aufgeführte Zeugnis ihrer Cellobegeisterung.
Dabei ist allerdings zu bedenken, welch eminenten Einfluss die Zeitgeschichte auf die Rezeption von weiblichen Künstlerinnen hatte. Henriëtte Bosmans wurde von den Nationalsozialisten wegen ihrer jüdischen Mutter mit einem Berufs- und Auftrittsverbot belegt und geriet nach dem Krieg fast vollständig in Vergessenheit. Ähnlich erging es Frieda Belifante, die ebenfalls jüdische Wurzeln hatte, aber auch als Frau und aufgrund ihrer sexuellen Orientierung immer wieder diskriminiert wurde. Sie engagierte sich später im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, emigrierte 1947 in die USA und starb 1995 in Santa Fe.
Henriëtte Bosmans: Cellokonzerte Nr.1 und 2; „Poème“ für Violoncello und Orchester, cpo